INTERVIEW: "Eine Art grüner, weichgespülter Imperialismus"
■ Ehemaliger Vorstandssprecher der Südwest-Grünen verließ die Partei/ Linke Liste/PDS werde "dämonisiert"
Dieter Hummel ist ehemaliger Vorstandssprecher der Grünen in Baden-Württemberg. Hummel verabschiedete sich am Montag wegen Auseinandersetzungen um die Mitarbeit einiger grüner MandatsträgerInnen bei der Linken Liste/PDS
taz: Noch vor einem Jahr sind Sie angetreten, den von Realos dominierten Landesverband nach links zu ziehen. Was hat sich bei den Grünen verändert?
Dieter Hummel:Die Grünen sind unwiederruflich zu einer staatstragenden Partei geworden; jeder Gedanke an radikale Opposition ist abgeschrieben. Im Grunde unterscheiden sich die Grünen nicht mehr von anderen etablierten Parteien, in deren Konzert sie ab und zu die Piccoloflöte spielen dürfen. Es geht in erster Linie um die Teilhabe an der Macht, Inhalte müssen dahinter zurücktreten. Ich gehe nach wie vor davon aus, daß ökologische Politik immer auch ein Stück weit antikapitalistische Politik sein muß. Ferner habe ich den Loyalitätsdruck und den Zwang unterschätzt, das Harmoniebedürfnis der Parteibasis befriedigen zu müssen.
Während Ihrer Amtszeit konnte sich der Landesvorstand doch an entscheidenden Punkten gegen die Fraktion durchsetzen — etwa bei der Frage der Sondermüllverbrennung und den Auseinandersetzungen um eine Ampel-Koalition.
Ich denke, das täuscht. Es gab zwar immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Vorstand und Fraktion; die Linken haben auch mehrmals eine Abstimmung im Vorstand gewonnen. Aber dies lag meist daran, daß wir weitgehende Abstriche von unseren Positionen gemacht haben, um dann noch weitergehende Kompromisse auszuhandeln. Letztendlich konnten wir den Rechtsdrift immer nur behindern, ihn aber nicht verhindern.
In einer Austrittserklärung kritisierst Du insbesondere grüne Visionen von einer neuen Weltmachtrolle Deutschlands, wie sie Antje Vollmer, Udo Knapp und Bernd Ulrich vertreten.
In deren Vorstellungen sehe ich eine geradezu typische Entwicklung innerhalb der Grünen. Es fehlt jeder Hinweis darauf, daß die Entwicklung Deutschlands zur „dritten Supermacht“ als Realität zwar zu akzeptieren ist, dies aber nicht ausschließt, diese gefährlichen Tendenz zu bekämpfen. Statt eine radikale Oppositionshaltung einzunehmen, wird den Grünen die Rolle verordnet, für einen derartigen „Aufstieg“ auch noch die Ideologie zu liefern. Da wird offen eine Art grüner, weichgespülter Imperialismus gepredigt. Dagegen gibt es kaum Widerspruch; die Grünen reihen sich ein in die Solidarität der Nationalisten.
Nun hat es aber bei den Grünen heftige Auseinansersetzungen um eine Abgrenzung zu der Linken Liste/ PDS gegeben. Ist dein Austritt ein Übertritt in diese Gruppierung?
Die derzeitige Unvereinbarkeits- und Dämonisierungspolitik bei den Grünen gegen die Linke Liste/ PDS kann ich nicht mittragen. Die PDS ist für mich eine linkssozialdemokratische Partei mit vielen Lücken, etwa bei Feminismus und Ökologie. Ich strebe dort weder Mandat noch Mitgliedschaft an. Ich werde sie allerdings wählen, weil ich es für einen Skandal halte, wenn über Manipulation am Wahlrecht versucht wird, rund 15 Prozent der WählerInnen in der DDR von einer Vertretung im Parlament auszuschließen. Ich hoffe, daß Grüne und PDS in den Reichstag kommen. Interessant ist aber doch, wie ausgerechnet Grüne mit lupenreiner stalinistischer Vergangenheit heute als Oberankläger der Gysi-Truppen auftreten. Hierzu passt auch, daß CDU und FDP Waschanlage für ehemalige Blockparteien spielen, während die Grünen-Realos von großen Koalitionen träumen. Interview: Erwin Single
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