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"Balladur - du lebst gut!"

■ Demonstration der 10.000 in Paris bringt Balladurs Mindestlohnidee zu Fall

Paris (taz) – „Wir wollen nicht die Sklaven von morgen sein.“ Siegesgewiß legen die SchülerInnen und StudentInnen den Verkehr im Stadtzentrum lahm. Für viele der 15- bis 20jährigen ist es die erste Demonstration; die erste Wahlbeteiligung haben sie noch vor sich. An diesem Donnerstag nachmittag haben sie ihre Klassenzimmer verlassen, um „Edouard“ die Meinung zu sagen. Edouard Balladur, der konservative Regierungschef, hat zur selben Zeit die Spitzen der französischen Gewerkschaften an den Runden Tisch im Palais Matignon geladen. Er will ihnen seinen neuesten Plan gegen die Jugendarbeitslosigkeit schmackhaft machen: einen Mini-Mindestlohn für Leute unter 25.

„Balladur – du lebst gut, so möchten wir auch leben“, präzisiert ein Transparent auf der Straße. Die DemonstrantInnen stehen kurz vor dem Abitur oder in der anschließenden zweijährigen Fachhochschulausbildung. Danach droht ihnen Arbeitslosigkeit oder ein Job zu dem Mini-Mindestlohn, den Balladur jetzt vorschlägt (er selbst nennt das Projekt „Integration in den Arbeitsmarkt“): umgerechnet rund 1.100 Mark, ohne irgendeine betriebliche Zusatzleistung oder Weiterbildung. „Warum sollen wir überhaupt etwas lernen, wenn wir nachher nicht einmal die Miete zahlen können?“ fragt eine junge Frau.

Jeder vierte Jugendliche unter 25 Jahren ist in Frankreich arbeitslos – viermal so viele wie in Deutschland und doppelt so viele wie in Großbritannien. Die meisten sind nie in ihrem Leben einer Erwerbstätigkeit nachgegangen und haben nicht die geringsten Ansprüche auf Unterstützung. Alle Regierungen des vergangenen Jahrzehnts haben sich an dem Problem die Zähne ausgebissen. Die SozialistInnen versuchten es mit der Streichung der Sozialabgaben für Jugendliche und mit Workshops. Die im März vergangenen Jahres gewählten Konservativen präsentierten bald darauf ein „Gesetz über Beschäftigung und Ausbildung“. Sie wollen die „Patrons“ mit Prämien für Lehrverträge, für Weiterbildungen und Orientierungskurse ködern, Jugendliche anzustellen. Vier Milliarden Mark machten sie im Staatshaushalt locker. Neue Arbeitsplätze sind bisher nicht entstanden. Oppositionelle rechnen vor, daß das Programm ein gigantisches Geschenk an Frankreichs Arbeitgeber ist. Der Mini-Mindestlohn, den Balladur vor einer Woche per Dekret verkündete, sollte der nächste Versuch im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit sein.

„Wir wollen 100 Prozent leben und 100 Prozent bezahlt werden“, steht auf einem Sticker. „Von einer Bezahlung unter dem Mindestlohn kann man nicht leben“, sagen die Jugendlichen. Die Gewerkschaften beklagen, daß ältere Arbeitskräfte aus der Produktion verdrängt würden, wenn es billigere, jüngere und dazu noch höher qualifizierte gäbe. Wirtschaftswissenschaftler rechnen vor, daß „der Mini-Mindestlohn keine neuen, sondern nur billigere Arbeitsplätze schaffen wird“. Ein Sozialist konstatiert „einen Angriff auf die soziale Basis unserer Gesellschaft“.

Edouard Balladur, der mit seinem Dekret nur etwas gegen die Jugendarbeitslosigkeit tun wollte, hat es geschafft, die Studentenorganisationen und Gewerkschaften wieder zusammenzubringen. Binnen weniger Tage organisierten sie gemeinsam eine landesweite Protestbewegung und jetzt auch noch diese Demonstration der über 10.000 in Paris.

Stunden nach der Demonstration zieht die Regierung den Mini- Mindestlohn zurück. Balladur will ein „präzisierendes“ Zusatz-Dekret veröffentlichen, wonach die „Integration in den Arbeitsmarkt“ künftig zu 80 Prozent des branchenüblichen Lohnes möglich sein soll – auf keinen Fall jedoch unter dem Mindestlohn. Ein erster Erfolg für die künftigen WählerInnen. Dorothea Hahn

Kommentar Seite 10

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