piwik no script img

"... wenn er hoch genug hängt"

■ Strapsharrys Travestie-Show im Excelsior-Hochhaus

Seit Jahren läuft der nunmehr 83jährige als ältester Travestie-Star Deutschlands durch Berlin. Als Reklame seiner selbst trägt er phosphorgrün leuchtendes schulterlanges Haar, Wollstrapse, Turnhose, Turnschuhe und ein T-Shirt. Da steht drauf, wer er ist: »Strapsharry — das Berliner Original.« Den Namen bekam er bei den Pfadfindern: »Auf einer Wanderung wurden wir von einem Unwetter überrascht. Damit wir uns in den kurzen Hosen nicht erkälteten, bekamen wir von den Frauen lange Hosen. Für mich waren nur noch Strapse übrig. Die waren warm und ein Ulk dazu.« Vor der Machtergreifung organisierte er das »Fest der unteren Zehntausend«, in den dreißiger Jahren war er Besitzer einer Nahrungsmittelfabrik — »Toste ist aus gutem Grund/ so bekömmlich und gesund.« Er hatte ein Autodrom (führerscheinloses Fahren) am Anhalter Bahnhof, war Besitzer der »Music Hall« in Steglitz, macht seit 17 Jahren Travestie und seit dreizehn Jahren »Dreamboys Lachbühne«. Die Music Hall gibt's nicht mehr; das Autodrom mußte er vor ein paar Jahren dichtmachen, die schönen Schultheißfestsäle in Neukölln, in denen er mit seiner Show bis vor einem Jahr noch beheimatet war, wurden ihm gekündigt. So kehrte er zurück in etwas beengtere Verhältnisse: Seine Shows finden nun im Kegelkeller des Excelsior-Hochhauses am Anhalter Bahnhof statt. Getränke müssen sowohl Strapsharry, als auch sein Ensemble zwar selbst zahlen, doch »der urige Berliner« hat weiterhin alles im Griff.

In wechselnder Besetzung präsentiert er weiterhin »Melodien aus Show, Musical, Operette; Sketche und Parodien weltbekannter Künstler, nicht nur als Hörgenuß, sondern als lebende Bilder dargestellt. Schlicht soll das heißen, daß hinter allem, was Sie hier erleben, unmittelbar menschliche Überlegungen und auch Leistungen stecken« (Programm), die schmählich nur bezahlt werden: mag er als Berlinreklameoriginal herumrennen; der Senat hat keinen Pfennig für ihn übrig und die Stars seiner Show bekommen selten mehr als 50 DM pro Abend.

Ein paar Luftballons warten in den Ecken der Räume, manchmal blinkt das bunt, was ohne Licht nur Kabelsalat war. Die meisten Zuschauer sind diesmal von einem westdeutschen Kegelverein, dessen Reiseleitung Strapsharrys Show als Wahlveranstaltung im Programm hat.

»Benjamin« führt durch's Programm. Mit kleinen Witzen verbindet sie/er die verschiedenen Programmpunkte. Das ist sehr gut oder extrem boshaft und wenn sie sich entschuldigt, setzt sie noch einen drauf auf Kosten der Besucher. »Lieber auf fett geschrubbelt, als auf Knochen gerabbelt«, meint er zu einem Dicken und tritt, wenn er die kleine Serviererin immer neu beleidigt, von einem Fettnäpfchen ins nächste. Vom »EKG« oder »Eierkontrollgriff« ist die Rede: Sex ist hier jedenfalls kein Synonym mehr für Jugend, sondern ist, wie üblich in solchen Shows, in zweifelhaftere Jahre gekommen. Aus apfel-, birnen-, oder zwiebelförmigen Brüsten ist »Fallobst« geworden. (das geht nicht nur gegen die Frauen, die von verwandelten Männern taxiert werden — die Männer kriegen genauso ihr Fett ab) In den Beleidigungen, großen und kleinen Sticheleien ist die »Lachbühne« trashiger als das meiste, was sich so im »BKA« (Berliner Kabarett Anstalt, vielgelobtes Kabarett am Mehringdamm) präsentiert: Kohl, dem er die Hand hätte schütteln sollen, würde er auch die Füße küssen, witzelt Benjamin, »wenn er nur hoch genug hängt«; Momper, den Strapsharry sehr schätzt und vice versa, Momper also, der auf SPD-Plakaten nur noch als »Walter« figuriert und so feierlich in den Männerclub der Duzpolitiker — »Helmut«, »Dany«, »Willy« und »Walter« aufgenommen wurde, wird von Benjamin als »Mann mit dem Ganzkörperkondom« treffend bezeichnet. Schade, daß er — ein »ganz patenter Kerl, der weiß, was er will« und überall hingeht »wo er eingeladen wird«, so Harry — nicht kommen konnte. »Termine, Termine«, so bedauerte man händeringend in der Senatskanzlei.

Einige Sketche des Vierstunden- programms sind einfach nur ungeheuer blöde, doch die Blödheit verliert sich dann in der Wärme und Freundlichkeit, mit der »Bubi«, alte Knef-Nummern und unzählige Berlin-Schlager singt. Berlin also: »dein Gesicht hat Sommersprossen und dein Mund ist viel zu groß.«

Eine untergründige Verzweiflung zeigt sich manchmal in den großen Mitmachnummern, den mitgeklatschten Playbacks von »Heidi — deine Heimat sind die Berge«, vom »knallroten Gummiboot«, vom »Karneval in Rio«, wenn andere Altachtundsechziger — die Zuschauer — schamlos versuchen, sich zu amüsieren und immer merken müssen, daß sie das Alter verpaßt haben, in dem Schamlosigkeit sich schön mit der Jugend paaren könnte. Dann kommt »Tanja« als Jugend oder echte Frau, die alle anstaunen. In einer wunderschönen Bauchtanznummer wiegt sie sich und dreht sich zur türkischen Musik; imitiert die verschiedenen Kling-Klang-Glöckchen und Schlaginstrumente mit ihrem Körper; macht sich, weil alle Bewegungen stimmen, unberührbar und entschwebt.

Eine ältere Dame vom »Verein für Jugend und Alter« ist nicht nur von Strapsharry, sondern auch von der Weinschorle hingerissen; ab und an stolpert sie auf die Bühne, wirft sich »Bubi« oder »Harry« an den Hals, übt elegant ein paar Tanzschritte, redet glücklich und laut vernehmlich mit sich selbst. Mit großer Geste spielt Strapsharry noch einmal Zarah Leander und verschwindet dann im Applaus des Kegelvereins und anderer sympathisierender Gäste. Detlef Kuhlbrodt

Strapsharry: im Excelsior-Hochhaus, Stresemannstraße, Berlin 61, Kartenvorbestellung unter 6811619 erbeten; Eintritt: 23 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen