: Die Desinformation der Ölmultis
Lange haben die Industriestaaten das drohende Ende des Erdöls ignoriert. Heute ist der künftige Ressourcenmangel offenbar, ebenso die Konzepte zur Bewältigung der Krise
In ganzseitigen Anzeigen hat der Esso-Konzern jüngst in deutschen Zeitungen vor „enormen Herausforderungen“ gewarnt, denen die Menschheit „bei der Energiefrage gegenübersteht“. Auch in der taz fand sich im Mai die Anzeige, die „harte Wahrheiten“ ankündigt, „mit denen wir alle konfrontiert werden“. Der Text wendete sich gegen „Wunschdenken“, das „das wirkliche Denken“ nicht „vernebeln“ dürfe. Was verbirgt sich hinter diesen Andeutungen? Sollte mit den „harten Wahrheiten“ wirklich nur der steigende Energiebedarf von China und Indien gemeint sein?
Die Motive der Esso-Öffentlichkeitsarbeit werden schnell deutlich, wenn man Äußerungen von Erdölgeologen zu Rate zieht, die bislang kaum Gehör gefunden haben. Kenneth S. Deffeyes, Geologe in Princeton, hat für Shell gearbeitet und zahlreiche Bücher über Erdölgeologie verfasst. In einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger stellte er unlängst ein Modell vor, mit dem sich die weltweite Förderleistung ziemlich exakt „auf wenige Wochen genau“ vorhersagen lässt. Die Ölförderung würde ihren historischen Gipfelpunkt Ende November erreichen – „ziemlich genau an Thanksgiving“. Danach nehme die Fördermenge jährlich um fünf Prozent ab. Bereits nach vier Jahren würde also die Ölförderung um gut 18 Prozent zurückgehen. Darauf ist die Weltwirtschaft nicht eingestellt, da in den zurückliegenden 50 Jahren die Förderung fast immer gestiegen ist.
Deffeyes steht mit seinen Vorhersagen nicht allein. Seine Thesen werden vom Geologen Colin Campbell bestätigt, der die „Association for the Study of Peak Oil“ (Aspo) gegründet hat. 1994 war er Mitautor der Studie „World Oil Supply 1930–2050“, die ausschließlich Regierungen und der Industrie zugänglich war. Dabei hatten Campbell und seine Mitarbeiter Zugriff auf die Daten von 18.000 Ölfeldern. Das Ergebnis war so brisant, dass die Ölindustrie mit zahlreichen Gegenstudien reagierte. Bis heute überwiegen diese Desinformationen der Ölkonzerne in Debatten, denen zufolge die Vorräte noch 40 Jahre reichen.
Das ist zwar nicht ganz falsch. Doch wird dabei bewusst unterschlagen, dass es gar nicht auf die Reichweite der Förderung ankommt. Viel entscheidender ist, wie lange sich die Förderung von mittlerweile 84 Million Barrel pro Tag noch steigern lässt und ab wann mit einem Rückgang zu rechnen ist.
Erdölgeologen weisen immer wieder auf das Phänomen „Peak Oil“ hin: Die Ölförderung weist den Verlauf einer Glockenkurve auf. So ist zu Beginn der Förderung der Druck in einem Ölfeld noch sehr groß. Dementsprechend kann die Förderung massiv gesteigert werden. Zumindest bis zu jenem Punkt, den die Geologen „Peak“ nennen. Er tritt auf, wenn etwa die Hälfte des förderbaren Öls entnommen ist. Von nun an nimmt die Förderung genauso schnell ab, wie sie vorher angestiegen ist. Denn zum einen lässt der Druck im Feld zunehmend nach, was man häufig versucht durch die Einleitung von Wasser auszugleichen. Zum anderen wird das leichte Öl zuerst nach oben transportiert. Am Ende fördern immer mehr Bohrsonden Wasser statt Öl, während gleichzeitig das noch verbliebene Öl immer zähflüssiger wird. Das Öl muss aus diesem Grund zunehmend abgepumpt werden. Der Energieaufwand steigt, während die Förderleistung sinkt.
Der Förderhöhepunkt lässt sich nicht nur bei jedem einzelnen Ölfeld errechnen, sondern auch für ganze Gruppen von Ölfeldern. So hat die Förderung in der britischen Nordsee bereits 1999 ihren Peak erreicht und ist seitdem um 40 Prozent abgefallen. Die Förderung der Nicht-Opec-Staaten geht seit dem Jahr 2000 zurück. Und auch die Opec fördert an der Kapazitätsgrenze. Einzig im Irak und vor der westafrikanischen Küste ließe sich die Produktion noch steigern. Doch kann dies den Förderrückgang in anderen Regionen nicht ausgleichen.
90 Prozent aller Ölfelder sind entdeckt. Die wenigen Felder, die man noch findet, sind meist sehr klein. Schon seit Anfang der 80er-Jahre verbraucht die Welt mehr Öl, als neu gefunden wird. Die großen Felder wurden in der Regel als Erstes entdeckt, weshalb unter den 400 größten Ölfeldern 90 Prozent bereits seit 20 bis 50 Jahren in Betrieb sind. Aus ihnen stammt aber bis heute der größte Teil des verfügbaren Öls.
Diese von vielen Geologen bestätigten Tatsachen werfen auf die Esso-Anzeige ein neues Licht. Jahrzehnte lang hat die Ölindustrie versucht, Debatten über Alternativen zum Öl zu verhindern. Nun sieht sie sich gezwungen, die Öffentlichkeit auf die baldige Energiekrise vorzubereiten. Die Desinformationsversuche der Ölkonzerne haben durchaus ihre Logik – denn die Ressource Öl ermöglicht Quasimonopole: Eine auf Öl, Kohle, Gas und Uran basierende Energieproduktion kann durch einzelne Konzerne zentral verwaltet werden. Mit erneuerbaren Energien ließe sich eine solche Konzentration nur schwer erreichen. Denn sie lassen sich dezentral nutzen. Und schließlich bedeuten explodierende Ölpreise für die Ölkonzerne auch explodierende Gewinne, weshalb sie gar kein Interesse an einer rechtzeitigen Umstellung auf andere Energieträger haben.
Aber der Ölindustrie wurde ihre Desinformation auch leicht gemacht: Politik und Öffentlichkeit wollten ihr nur zu gern glauben. Denn die Globalisierung setzt voraus, dass Transportkosten quasi nicht ins Gewicht fallen. Seit 150 Jahren herrscht zudem die Praxis vor, den gesellschaftlichen Zusammenhalt über das Wirtschaftswachstum herzustellen. Steigender Ressourcen- und Warenverbrauch sind die unhinterfragte Basis unserer Kultur. Auch in der Volkswirtschaftslehre herrscht die Annahme vor, Wachstum und Verbrauch ließen sich unbegrenzt steigern und könnten auf die gesamte Weltbevölkerung ausgedehnt werden. Doch zeigt dies nur, dass selbst die modernen Wirtschaftstheorien durch Glauben gestiftet sind.
Dieser Glaube stößt nun an physikalische Schranken. Erstmals in der Geschichte des Kapitalismus werden die Grenzen des Wachstums erreicht. Die kommende Ölkrise dürfte deshalb langfristig das Ende einer ganzen Kultur und Denkweise bedeuten. Ohne Wirtschaftswachstum sind dramatische Verteilungskämpfe zu erwarten. Für ihre Befriedung gibt es bisher kein Konzept. Aber jedes Festhalten an den überkommenen globalen Wirtschaftsstrukturen würde bedeuten, dass der Mangel an Ressourcen zulasten der armen Bevölkerung bewältigt wird.
Für die Güter des täglichen Bedarfs müsste deshalb eine regionale Kreislaufwirtschaft eingeführt werden; durch dezentrale und damit demokratischere Energie- und Wirtschaftsstrukturen ließe sich der rückläufige Ressourcenverbrauch human gestalten. Eine unerhörte Utopie würde Wirklichkeit werden. Doch noch sind die alten Strukturen nicht gewillt, ihre wirtschaftliche und politische Macht zu teilen. Esso jedenfalls zieht es vorläufig vor, Anzeigen zu schalten, die gegen „Wunschdenken“ polemisieren. Wundern darf einen das nicht. HAUKE RITZ
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen