piwik no script img

Archiv-Artikel

„Das ist doch nicht die RAF. Das ist doch ein Liebespaar!“

Als Geburtstag der Roten Armee Fraktion gilt der 14. Mai 1970. Astrid Proll ist Ex-RAF-Mitglied. Für sie entstand die RAF bereits 1969. In Paris. Dort fotografierte sie die flüchtigen Kaufhausbrandstifter Baader und Ensslin. „Es gab eine Zeit, als die RAF unschuldig war“, sagt Proll. Ein Gespräch über die RAF und ihr Verhältnis zu Bildern – von Paris bis Stammheim

INTERVIEW PETER UNFRIED

taz: Frau Proll, Sie haben 1969 Andreas Baaders Mercedes nach Paris gefahren, sich den Flüchtigen angeschlossen und sie und sich fotografiert. Die Bilder sind in der am Samstag beginnenden RAF-Ausstellung in Berlin zu sehen.

Astrid Proll: Ja. Meine Bilder unterscheiden sich von den anderen Exponaten der RAF-Ausstellung dadurch, dass sie Dokumente sind. Aus der Zeit. Es war mir damals nicht klar, dass ich eigentlich die Bilder gemacht habe, die die RAF bei ihrer Entstehung zeigen.

Die RAF entstand nach allgemeiner Geschichtsschreibung am 14. Mai 1970 mit Baaders Befreiung durch Ulrike Meinhof.

Nein. Eigentlich begann es in Paris; soweit Andreas Baader und Gudrun Ensslin maßgeblich waren. Das ist das Spannende. Die Parisbilder zeigen den Moment, wo sie in den Untergrund gehen, sich aus der Legalität verabschieden. Sie wissen noch gar nicht, was auf sie zukommt, aber sie haben sich die Haare geschnitten und haben sich anständige Jacken angezogen. Gleichzeitig kann jeder diesen Bildern den Unernst des Unternehmens ansehen. Es fehlt jede Militanz , jede Pistole, das ganze Barbarische, was man mit der RAF verbindet.

Baader sieht aus, als wolle er wichtig wirken, Ensslin wirkt, als sei sie vom französischen Kino inspiriert.

Sie können da gerne Ihre Kommentare dazu abgeben, bitte. Das war ein großer Schritt. In dem Moment wurden wir zu Schwarzfilm – wir gingen sozusagen in die Dunkelheit . Aber ja: Die Bilder zeigen keine RAF, sie zeigen junge Leute, die in Paris im Café sitzen. Deshalb haben die Leute oft Schwierigkeiten mit diesen Bildern, weil sie sagen, was ist denn das? Das ist doch nicht die RAF! Das ist doch das Foto von einem Liebespaar.

Diese Menschen haben dann andere Menschen umgebracht.

Ich will keine Verantwortung wegschieben. Es war früher sicher ein Fehler das Übergewicht auf das Leid der RAF-Inhaftierten zu legen und vor lauter Mitgefühl nicht zu sehen, wie mörderisch die RAF geworden war. Heute geht das Pendel aber in die andere Richtung: Naziverhältnis, Entpolitisierung, Gleichsetzung mit Selbstmordattentätern, alles wird von hinten aufgezäumt. Das ist falsch.

Was wäre richtig?

Man darf das Ganze nicht nur von hinten betrachten. Dieses Entschlossene, Brutale, die Schleyer-Entführung, die Hinrichtungen, das hat die zweite Generation geliefert. Und nicht die Leute, die in Haft waren, die erste Baader-Gruppe.

Jan-Philipp Reemtsma hat unlängst in der taz postuliert, es gebe zu viel „Kitsch beim Reden über die RAF“. Auch sei die „Transformation“ der RAF zwischen Anfang und Ende nicht wirklich groß.

Ich kann nichts dafür, wenn sich Herr Reemtsma intellektuell von der RAF unterfordert fühlt. Kürzlich hat er auch den Satz kreiert, der Zeitzeuge sei der natürliche Feind des Historikers. Es ist mir neu, dass ein Historiker kategorisch darauf verzichtet, Zeitzeugen zu befragen.

Reemtsma zieht auch „Parallelen zum islamistischen Terror“.

Es mag ja Parallelen zwischen ideologischem und religiösem Fanatismus geben, aber es ist grob fahrlässig, die Geschichte der letzten 40 Jahre ausschließlich vom 11. September 2001 her zu betrachten. Es gibt nicht eine Matrix für alles. Ich sage: Es gab eine Zeit, als die Sache noch unschuldig war, die unterstellte Zwangsläufigkeit noch unabsehbar.

Sie haben ein neues Foto in die Neuauflage von „Hans und Grete“ genommen, das Baader 1969 mit Heimzöglingen zeigt.

Ja, die Heimkampagne in Hessen gegen das autoritäre System in den deutschen Erziehungsheimen. Sie lag vor Paris und war dann abrupt zu Ende durch die Aufforderung zum Haftantritt …

Baader, Ensslin, Ihr Bruder Thorwald und Söhnlein hatten 1968 in Frankfurt eine Bombe in einem Kaufhaus gezündet …

… aber diese lebendige und erfolgreich verlaufende Heimkampagne war wirklich weit weg von dem, was später daraus wurde, Entführungen und Hinrichtungen. Heute neigt man dazu, alles vom Ausgang zu interpretieren, vom schlimmen Ende. Es hätte auch anders kommen können.

Wie hätte die Herausforderung des Staates anders enden können?

Man hat damals nicht gewusst, wie es endet. Auch wenn man irrsinnig militant sein wollte und alles riskieren wollte, man hat nicht gewusst, dass es bei Hinrichtungen und Entführungen endet.

Hätte es gut enden können?

Nein. Ich denke nicht von einem guten Ende her. Alles, was ich sage, ist: Es gab Zeiten, da sah die Sache anders aus. Man muss in dieses Zeitgefühl einsteigen, man kann nicht alles nur immer vom Ende sehen. Die Bilder von Paris zeigen einen emphatischen Sommer.

Frau Proll, es gibt nach Paris und bis Stammheim 1977 keine eigenen Bilder mehr von der RAF.

Richtig. Wir hatten keine Filmkamera oder ein Bildarchiv dabei. Die Bilder aus Paris entstammen einem privaten Moment, einer intimen Atmosphäre.

Die Polizei hatte Bilder.

Genau. Das Bild der RAF ist ein Polizeibild. Die ersten Bilder waren die Steckbriefe. Durch die Bildhoheit über die Steckbriefe ist es der Polizei gelungen, die RAF zu entpolitisieren und sie zu kriminalisieren. Deshalb ist die Überführung in die Kunst gewissermaßen zwangsläufig. Diese Leerstelle – dieser Schwarzfilm – ist eine Einladung an die Kunst. Er ist attraktiv und muss besetzt werden.

Für die RAF war die Kunst damals bourgeois?

Die Beschäftigung mit der Revolution war einfach interessanter.

Warum überließen Sie dem Staat das Bildmonopol?

Wir hatten Angst vor Bildern, das ist doch ganz klar. Bilder sollten nicht existieren, Bilder waren Dokumente, mit denen gefahndet werden konnte.

Sie waren die Erste, die das Bild ins Gefängnis brachte.

Ja, stimmt. Ich wurde nach einem Steckbrief erkannt und verhaftet.

Die zweite Generation hat mit Bildern gearbeitet.

Ja, die haben dann Videos und Polaroids bei der Schleyer-Entführungen gemacht und eingesetzt. Das hatte man aus Lateinamerika. Wir hatten zwar jemanden von der Filmschule dabei, Holger Meins. Aber wir haben auch keine medientheoretische Diskussion geführt bei der RAF, das muss man auch sagen. Für uns lief die Kommunikation mit den Linken immer noch über das Wort. Das Flugblatt, das Pamphlet, das war die Agitationsmaschine, die Propaganda.

Da waren Che oder Angela Davis längst über Poster ikonisiert.

Stimmt. Das gab es als Icons in deinem Kinderzimmer. Aber die waren entweder tot oder im Knast. Für uns galt: Wer sich zeigt, verliert.

Gab es in der Unsichtbarkeit einen gedachten Moment der Wieder-Sichtbarkeit?

Meistens war die Sichtbarkeit enttäuschend, weil: eine Unsichtbarkeit erweckt eine irrsinnige Fantasie. Als die Akteure der ersten Generation drei Jahre abgetaucht waren und dann wieder verhaftet wurden, dann waren sie ja auch nicht sichtbar, sondern wurden weggesteckt. Wenn sie auftraten, dann nur durch Polizeifotos.

Das meine ich. War das Polizeifoto die einzige vorstellbare Wieder-Sichtbarkeit?

Ja, was heißt vorstellbar? Es geht darum, was es heute für Bilder gibt. Die Steckbriefe sind ein bestimmtes Bild, eine Polizeimontage, aus Archivmaterial. Nach ihrer Verhaftung konnte man sie nur in ganz speziellen Situationen sehen, in Gerichten oder beim Gang zum Gericht oder zur Polizei. Das waren ganz kontrollierte, fast militärische Situationen. Diese Fotos sind alle von Polizeifotografen oder Pressefotografen, die für die Polizei gearbeitet haben und eine Verachtung für Gefangene haben. Natürlich ist ein Bild anders, wenn man es gegen den Willen der Abgebildeten gemacht wird.

Worauf wollen Sie hinaus?

Ich will sagen: Aus diesem Grund ist das Bild der RAF nicht das Bild der Menschen, die in der RAF waren. Wir kennen anderes Material aus ihrer Vorgeschichte. Teilweise hatte die erste Generation eine „mediale“ Vorgeschichte.

Ihr Buch beginnt ja mit der APO und 1967/68.

Das muss man tun, um zu verstehen, wie sich das steigert. Bis zum Endbild.

Das ist in Ihrem Buch ein Polizeibild: der erschossene Baader. Am Anfang stehen jene Bilder, die die drei zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Häftlinge in Stammheim mit der eingeschmuggelten Minox selbst gemacht haben.

Ja, diese Fotos zeigen Baader, Ensslin und Raspe fast am Ende ihres Lebens. Was sie natürlich in dem Moment nicht wussten.

Sie haben das Machtmonopol.

Ja, es sind keine Polizeifotos, es sind Bilder in relativer Privatheit. Sie lachen, aber sie sind natürlich auch schon sehr gezeichnet von ihrem Schicksal.

Was leisten diese Bilder?

Was denken Sie?

Mit dem Bild des verhungerten Holger Meins hat man die RAF-Nachfolgegeneration angeworben.

Dazu kann ich nichts sagen.

Und nun ist die Frage, zu welchem Zweck die Minox-Fotos gemacht wurden?

Zweck? Zum einen soll die Kamera ja ein Probelauf für die später eingeschmuggelten Pistolen gewesen sein, denn sie war auch metallen. Wahrscheinlich wollte man die Fotos machen für das geplante Buch „texte: RAF“. Da sind sie auch erschienen. Ich glaube, der Wert diese Fotos ist noch gar nicht begriffen worden.

Klar ist: Die RAF wollte am Ende Bilder. Eigene Bilder.

Der Grund, der in der Illegalität besteht, dass man nicht gesehen und nicht erkannt werden will, der besteht in der Haft nicht mehr. Aber meistens ist es einfacher als man denkt. Wahrscheinlich wollte Baader nur ein paar Fotos von seiner Freundin Gudrun Ensslin machen.