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Archiv-Artikel

Gespenster auf Video

Wahlkampf in Uruguay: die Rechte, ein Expräsident, die Tupamaros und ein deutscher Dokumentarfilm

Auf der Plaza Libertad in Montevideo steht ein Video-Beamer, der in einer Endlosschleife einen Wahlkampfspot auf eine Leinwand projiziert. Man sieht darauf Senatoren und Abgeordnete des Linksbündnisses „Frente Amplio“. Sie sagen Sätze wie: „Welches Vertrauen kann man in die uruguayische Demokratie haben?“ – „Wir schwören dem Kampf nie ab.“ – „Es gab Exekutionen.“ Geklaute Interviewfetzen aus der 1996 fertig gestellten Dokumentation „Tupamaros“ der in Berlin lebenden Filmemacherin Heidi Specogna.

Es ist ein kalter Frühlingsabend in der uruguayischen Hauptstadt, vom Río de la Plata fegt ein eisiger Wind durch die Stadt, Wahlkampfzettel wirbeln über die Hauptstraße 18 de Julio. Die Leinwand wurde von dem rechten Foro Ballista auf der Plaza aufgestellt, einer Gruppierung innerhalb der regierenden Colorado-Partei. Doch der Spot erregt nur wenig Aufmerksamkeit. Gerade einmal fünf Menschen stehen davor. Zwei ältere Damen zeigen sich empört, die anderen schauen eher kurios bewegt auf die Leinwand.

Es ist Wahlkampf in Uruguay und am Sonntag ist ein Sieg der Linken fast ausgemacht. Um dies noch zu verhindern und Geister vergangener Zeiten wachzurufen, hat der ehemalige Präsident Julio Sanguinetti einen Parteifreund in die Videothek geschickt und den Tupamaros-Film von Specogna ausgeliehen. Die härtesten Zitate wurden aus dem Zusammenhang gerissen und von der VHS-Kassette auf ein neues Band kopiert – fertig war ein Wahlkampfspot in Kalter-Kriegs-Manier. In Specognas Film kommen ehemalige Mitglieder der uruguayischen Stadtguerilla Tupamaros zu Wort, die ihre eigene Geschichte reflektieren und die Zeit der Militärdiktatur in Uruguay. Wer 96 Minuten Dokumentarfilm in 1 Minute Wahlspot presst, reißt alles aus dem Zusammenhang und wird den Sprechenden nicht gerecht. Genau, das war das Ziel. So heißt es im Abspann des Spots: „Sie sind die Mehrheit der Frente Amplio.“ Die Botschaft: alte Terroristen und Feinde der Demokratie.

Kurz bevor der Spot im uruguayischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, hat Specogna davon erfahren und sofort an alle Sender ein Fax geschickt, in dem sie diese darauf hinweist, dass sie zu keiner Zeit die Rechte an den Bildern aus ihrem Film abgetreten hat und es sich um Raubkopien handelt. Fast alle Sender haben dann den Spot nicht abgespielt, Ex-Präsident Julio Sanguinetti sprach von „Zensur“ seitens der Tupamaros. Zwei Anwälte haben sich der Sache inzwischen angenommen, für derlei Delikte kann man in Uruguay ins Gefängnis kommen. Es kann sich nur niemand vorstellen, dass der Pate der uruguayischen Politik hinter Gittern landen könnte.

Zwar konnte Specogna durch die schnelle Reaktion den Schaden begrenzen. Trotzdem sagt sie: „Für mich als Dokumentarfilmerin ist das fatal. Die Leute, die ich für den Film interviewt habe, haben ja Vertrauen zu mir.“ Dieses Vertrauen liegt gerade in der Art der Gestaltung und darin, dass Specogna die Tupamaros auch am Schneidetisch hat ausreden und Gedanken zu Ende führen lassen.

Für die rechte Colorado-Partei war der Spot zunächst ein Erfolg. Im Wahlkampf vollkommen untergegangen, konnte sie mit dem Spot eine Woche die Diskussionen bestimmen. Dabei hatte ihn zu dieser Zeit noch keiner gesehen, weil die Fernsehsender ihn nicht zeigten. Stattdessen läuft er jetzt an Wahlkampfständen und wird auf CD verteilt. Auch im Internet ist er abrufbar. Laut Foro Ballista hat es schon 30.000 Downloads gegeben. INGO MALCHER