press-schlag : Die jüngere Geschichte des deutschen Fußballs wird komplett umgeschrieben
Bochums Trainer Peter Neururer hat eine Lawine ins Rollen gebracht: Der Schiedsrichter-Skandal erfasst nun auch Bayern München und Saudi-Arabien
Dramatische Entwicklungen deuten darauf hin, dass der Schiedsrichter-Skandal im deutschen Fußball erheblich gigantischere Ausmaße annimmt als bisher vermutet. Neben dem geständigen Referee Robert Hoyzer sollen hunderte von weiteren Schiedsrichtern und Dutzende von Profivereinen darin verwickelt sein. Nachdem vergangene Woche der Bochumer Trainer Peter Neururer schon seine Recherchen der Öffentlichkeit preisgegeben hatte, meldeten sich gestern auch andere Geschädigte zu Wort. „Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre“, so Corny Littmann, Präsident des FC St. Pauli, „dann wären wir heute die Nummer eins in Hamburg und der HSV in der Regionalliga.“
Ein führender Vertreter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der ungenannt bleiben möchte, kann dieser Einschätzung nicht widersprechen. „Es stimmt“, gibt der Mann kleinlaut zu, „wir haben klare Hinweise darauf, dass unsere Schiedsrichter eine Vielzahl von Fußballspielen nicht nur absichtlich verpfiffen haben, sondern auch unabsichtlich.“ Verschiedene Stichproben forderten verheerende Ergebnisse zutage. So konnten bei einem Schalke-Spiel aus dem Jahre 1997 nicht weniger als 27 Fehlentscheidungen der Referees zuungunsten der Gelsenkirchener festgestellt werden. Besonders auffällig in diesem Match waren die Linienrichter, bei denen es sich, wie Nachforschungen ergaben, aber gar nicht um die angesetzten Linienrichter gehandelt hatte. Die seien nicht rechtzeitig aus dem Bordell zurückgekommen, deshalb habe man zwei Herren aus dem VIP-Bereich gebeten, für die Abwesenden einzuspringen. Die Betreffenden hätten sich als unparteiisch deklariert, erst später sei bekannt geworden, dass beide aus Dortmund stammten. Dem offiziellen Schiedsrichterbeobachter sei damals nichts Verdächtiges aufgefallen. „Aus heutiger Sicht könnte man sagen, das war ein Fehler“, räumte nun Schiedsrichter-Obmann Hellmut Krug ein.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen kommt der DFB kaum daran vorbei, nicht nur die beanstandeten Hoyzer-Spiele zu untersuchen, sondern sämtliche Erst- und Zweitliga-Partien der vergangenen zehn Jahre einer Prüfung zu unterziehen, insgesamt mehr als 6.000 Partien. Die Sender ARD, SAT 1 und Premiere haben sich bereit erklärt, ihre Archive „im Sinne einer rückhaltlosen Aufklärung“ zur Verfügung zu stellen. Bundesinnenminister Otto Schily forderte in einer ersten Stellungnahme „drastische Strafen“.
Da eine Neuansetzung sämtlicher irregulärer Matches „aus terminlichen Gründen kaum praktikabel“ sei, will man die Tabellen mit einem so genannten Neururer-Index bereinigen. Anschließend müssten die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden. Nach ersten Hochrechnungen ist danach Bayern München schon 2001 aus der Bundesliga abgestiegen und Schalke 04 im Jahr davor, weshalb die „Meisterschaft der Herzen“ mitsamt Vierminutenfinale komplett aus dem Gedächtnis zu streichen ist. Deutscher Meister wurde in den letzten vier Jahren dreimal der VfL Bochum, einmal soll Bayer Leverkusen die Nase vorn gehabt haben. „Vermutlich ein Rechenfehler“, glaubt ein DFB-Vertreter, der als gelernter Jurist hohe Gefängnisstrafen für die meisten deutschen Schiedsrichter nicht ausschließt: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.“
Die größte Sorge gilt derzeit der Möglichkeit, dass der Skandal internationale Dimensionen erreichen könnte. Besonders sensibel in diesem Zusammenhang die Weltmeisterschaft 2002. Schon das erste deutsche Spiel gegen Saudi-Arabien sei früh durch einen fälschlich zuerkannten Freistoß komplett aus der Bahn geraten. In einer Ad-hoc-Analyse errechnete Peter Neururer auf dieser Basis anstelle des 8:0-Sieges eine 1:2-Niederlage. „Wir wären ausgeschieden und hätten Rudi Völler schon damals rausschmeißen müssen“, sagt ein hochrangiger Fußballfunktionär. „Klinsmann hätte die EM in den Sand gesetzt, also müssten wir von Rechts wegen sofort Lothar Matthäus zum Bundestrainer berufen.“ Eine grauenhafte Vorstellung, selbst für WM-Organisator Franz Beckenbauer: „Wenn die Scheichs das spitzkriegen, können wir zusperren.“
MATTI LIESKE