press-schlag: Die Leute, die sich „der Sport“ nennen
Athleten und Athletinnen sind aus dem öffentlichen Diskurs gedrängt. Andere wollen für sie sprechen
Es war einmal ein Trainer, in diesem Fall kam er aus der DDR, der wurde gefragt, warum die von ihm betreuten Schwimmerinnen so tiefe Stimmen hätten. „Die sollen schwimmen und nicht singen“, lautete seine Antwort.
Der Satz ist in einem doppelten Sinn schlimm, aber nur in einem einfachen Sinn wurde er aufgegriffen. Empörung löste nämlich nur der unglaubliche Umgang mit Doping aus, der in dem Satz durchschimmerte: Alles sei erlaubt, wenn es um sportliche Leistung ginge.
Wenn ich mich recht erinnere, hat jedoch niemand je Anstoß genommen an der Selbstverständlichkeit, mit der jener Trainer bekundete, was sportliche Frauen, die er als seine Objekte ansah, zu tun hätten. Schwimmen, weil er dies anordnet, und wenn er etwas anderes gesagt hätte, müssten sie halt etwas anderes machen.
Jener Trainer repräsentierte nicht nur, wie man damals wie heute glauben machen möchte, das Sportsystem der DDR, sondern er hatte seinen Satz im tiefen Vertrauen darauf ausgesprochen, dass der Sport insgesamt doch nach diesem Muster funktioniert.
Der Mann hatte Recht und hat Recht. Leider.
„Shut up and dribble“, so kommentierte eine Sportjournalistin des rechten TV-Senders Fox die Kritik, die Basketballer LeBron James an US-Präsident Donald Trump geäußert hatte, „halt’s Maul und spiel!“. Ähnliches mussten sich die Tennisprofis Serena Williams und Naomi Ōsaka anhören, die gegen Rassismus und Sexismus protestierten. Und auch im deutschen Sport ist es normal, dass sich kritische und nachdenkliche Sportler und Sportlerinnen Sachen anhören müssen, wie „sie sollten sich mehr ums Spiel kümmern“. Das ist nicht nur normal und üblich, sondern auch mehrheitlich akzeptiert.
Mir fällt neben dem Sport kein gesellschaftlicher Bereich ein, in dem mit derart selbstverständlicher Arroganz Menschen geschurigelt werden, wenn sie ihr selbstverständliches demokratisches Recht wahrnehmen, mitreden und mitgestalten zu wollen.
Wenn über Fragen gesprochen wird, die Athleten und Athletinnen unmittelbar etwas angehen – wie zuletzt rund um das angeschobene Sportfördergesetz –, dann melden sich Funktionäre (seltener: Funktionärinnen) zu Wort, die sagen, „der Sport“ sehe das genauso oder ganz anders. Aber immer glauben diese Amtsträger, sie seien „der Sport“ und sie selbst seien legitimiert, für „die Sportler“ zu sprechen.
Die selbst sind zwar in der Regel erwachsene Menschen, aber es gibt da immer noch eine Funktionärsschicht, die sich selbst ermächtigt hat, zu entscheiden, wer ein „mündiger Athlet“ ist, ob eine Sportlerin oder ein Sportler geistig und charakterlich befähigt ist, sich zu politischen und gesellschaftlichen Themen jenseits von Stadion, Schwimmbad und Turnhalle zu äußern.
Was jener DDR-Trainer und jene US-Journalistin ausgedrückt haben, ist Common Sense im bis heute gültigen Sportverständnis: Athleten und Athletinnen sollen nichts zu sagen haben.
„Fragen Sie zum Beispiel mal einen Sportler, warum er bestimmte Dinge so und nicht anders tut“, sagte der französische Soziologe Pierre Bourdieu – da bedarf es einer Menge Arbeit, um ihn darüber wirklich etwas sagen zu hören“. Was Bourdieu klug beobachtet hat, ist ein enormes Demokratiedefizit, das erstaunlicherweise viele gar nicht bemerken wollen.
Gewiss, es gibt Interessenvertretungen von und für Profis. In Deutschland gibt es sie seltener und sie wurden später gegründet als woanders. Aber sie alle haben mit dem arroganten Diktum zu kämpfen, wer Sport treibe, habe nichts in der Birne, und für ihre eigenen Interessen dürften sich solche Leute schon gar nicht einsetzen, das immer noch sehr wirksam ist. Martin Krauss
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