press-schlag: Aufziehpuppender Öffis
Winter ade, Scheiden tut gar nicht weh: Die Wintersportwochenenden sind vorbei. Endlich!
Liebe Sportfreunde, Sie müssen sich nicht grämen! Die von Ihnen so geliebten Wintersportwochenenden gehen zwar an diesem Wochenende zu Ende, aber dank Ihrer Treue und Ihrer Gebühren arbeiten ARD und ZDF mit Hochdruck daran, ein neues Format zu präsentieren: das Sommersportwochenende.
Der nahtlose Übergang hat in diesem Jahr leider noch nicht geklappt. Das Sommersportwochenende befindet sich noch in der Projektphase. Sie müssen sich wohl oder übel die kommenden Wochenenden mit „Bettys Diagnose“ oder der „SOKO Kitzbühel“ die Zeit vertreiben. Dabei gäbe es genug Sportmaterial, zum Beispiel am kommenden Wochenende die EM der Gewichtheber, die Hockey-Euro-League mit bestimmt großartigen Spielen zwischen RC Paris und Uhlenhorst Mülheim, dem HC Rotterdam und dem Mannheimer HC – oder dem Grand Prix der Säbelfechter in Seoul.
Man hätte auch mal schnell ins Trainingslager der Kanuten schalten können, aber die Präsentatoren von den Öffis sind müde. Sie sind ausgelaugt. Wie die Wintersportler, die wie Aufziehpuppen durch den Winterwald hirschten, ohne Unterlass von November bis März. In diesem Wintersportwinter haben sie es fertiggebracht, etwa 450 Stunden Wintersport unters Fernsehvolk zu bringen. Oder waren es 4.500? Und sie haben auch nicht damit aufgehört, als die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang vorbei waren. Nein, Nordische Kombinierer, Skijäger und Schanzenspringer machten weiter, und hätte nicht in diesen Tagen der Frühling sein Haupt erhoben, schrien die Knochen der Athleten nicht nach Ruhe, sie würden wohl noch ein paar Weltcups in Grönland, auf Spitzbergen oder in Südgeorgien veranstalten, allein schon, weil die Quoten ja so fantastisch sind.
In den Sendeanstalten frohlocken sie über durchschnittlich 3,7 Millionen Zuschauer bei Biathlonrennen und Marktanteilen von weit über 20 Prozent. Im Schnitt gucken sich durchgängig fast 3 Millionen die weiße Pracht auf ARD und ZDF an. Sie können gar nicht genug bekommen von der Dauerwerbesendung mit angeschlossenem Sportbetrieb, von all dem zweckfreien Geloipel, Geschieße und Gespringe, das so eine herrlich sedierende Wirkung entfaltet.
Sie, liebe Wintersportfreunde, haben an diesem Wochenende frei. Nutzen Sie den Tag, gehen Sie raus. Oder warten Sie doch einfach auf den Winter und halten Sommerschlaf.
Markus Völker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen