press-schlag : Auch sogenannte Anhänger sind echte Anhänger
Es geht gewalttätig zu in Deutschlands Fußballstadien. Wer es sich einfach machen will, sagt: Randalierer sind keine Fans
Hans ist 58 Jahre alt. Er betreibt einen Lebensmittelladen. Seine Kunden kaufen meist nur, woran sie beim Einkauf im Discounter nicht gedacht haben. Man kennt sich. Man weiß nicht viel voneinander, aber für ein kleines Gespräch reicht es immer. Alle Kunden wissen von Hans’ Leidenschaft. Über der Käsetheke hängt eine Fahne seines Lieblingsvereins. Seit Jahrzehnten hat er eine Dauerkarte. An Heimspieltagen trifft sich eine Clique, zu der auch viele Stammkunden gehören, im Lager des Ladens, um gemeinsam zum Stadion zu pilgern. Später sitzen sie in der Arena auf der Haupttribüne. Hans hat einen Fanschal um den Hals. Schwappt die Welle durchs Stadion, stehen die Männer auf. Fällt ein Tor für ihren Klub, fallen sie sich um den Hals. Fällt keines, meckern sie über ihre Mannschaft, sinnieren lauthals, wen sie alles verkaufen würden. Hans hat Abstiege erlebt, Aufstiege. Er ist seinem Klub immer treu geblieben. Dennoch sieht er sich als kritischen Beobachter. Hans ist ein Fan.
Kevin ist 16 Jahre alt. Seit mehr als einem Jahr schon schläft er nicht mehr in der Bettwäsche des von ihm verehrten Klubs. Er ist schließlich kein Kind mehr. Kevin steht bei jedem Heimspiel in der Kurve. Die Jahreskarte zum Ermäßigungstarif kann er sich von seinem Taschengeld leisten. Kevin ist nach jedem Spiel heiser. Er grölt mit, was um ihn herum gegrölt wird. „Oh, du wunderschöner TSV“ singt er genauso, wie er gegnerische Fans als „Asylbewerber“ beschimpft. Er findet es lustig in der Kurve. Seit der Ausschank von Vollbier im Stadion wieder erlaubt ist, kann er über die gesamte Spielzeit den Pegel halten, den er sich vor dem Spiel mit seinen Klassenkameraden angetrunken hat. Soll die Welle durchs Stadion schwappen, gehört er zu denen, die den Countdown herunterzählen und so das Spektakel auslösen. Wenn Kevin darüber nachdenkt, was Liebe ist, muss er auch an seinen Verein denken. Kevin ist ein Fan.
Sven ist 23 Jahre alt. Seit kurzem darf er wieder ins Stadion, weil er seit längerem nicht mehr aufgefallen ist. Es ist wie früher. Er fühlt sich als der zwölfte Mann, will neben dem Platz für seinen Verein kämpfen. Unter der Bomberjacke lugt der Vereinsschal hervor. Wenn die Polizei in die Kurve filmt, zieht er ihn bis über die Nase vors Gesicht und streckt den Stinkefinger Richtung Kamera. Er steht in der Kurve ganz unten am Zaun. Er grölt die Lieder der Fans. Er herzt die Spieler, die nach einem Sieg zu ihren Fans laufen. Er rüttelt am Zaun, wenn der Schiedsrichter nicht so pfeift, wie er es für richtig hält. Wenn in der Kurve eine Leuchtrakete abgeschossen wird, freut er sich. So etwas hat er auch schon gemacht. Bierbecher hat er auch schon viele in Richtung Spielfeld geworfen – leere und volle. Sven findet das normal. Sven ist ein Fan.
ANDREAS RÜTTENAUER