press-schlag: Die Qualen des Herzschlag-Finales
VON SCHURKEN, KOKSAUGEN UND DEM EMOTIONALEN-ABSCHEU-KOEFFIZIENTEN
Es bleibt also spannend bis zuletzt. Bayer oder Bayern – das Herzschlag-Finale am letzten Spieltag. Nur: Für wen schlägt unser Herz? Daum oder Hoeneß, Emerson oder Effenberg, Aspirin oder Weißwürstl? Der gemeine Fußballfan ist kein kühler Analytiker, der mit distanziertem Blick womöglich objektiv irgendwelche Gladiatorenkämpfe verfolgt. Der Mensch will sich identifizieren, will leiden und die Seinen triumphieren sehen. Der Mensch braucht Schurken und Helden.
Die Rollenverteilung der vergangenen 20 Jahre war klar. Es gehörte quasi zu den anthropologischen Konstanten, die Bayern zu hassen. Die Wut auf den Krösus von der Säbener Straße gehörte zum Liga-Inventar wie der Muskelfaserriss zum Interviewgestammel. Doch im ersten Jahr des neuen Millenniums und der Berliner Republik ist zu fragen, was die Bayern eigentlich unter der Lederhose tragen, die wir ihnen seit Gottes Anbeginn unbedingt ausziehen wollen. Stimmt der alte emotionale Beißreflex noch? Haben wir noch genug Munition, die Bayern zu hassen? Oder fragen wir andersherum: Kennt irgendjemand irgendjemanden, der Bayer Leverkusen toll findet? Hat diese Mannschaft fußballerische Tradition, Charisma, gute Jugendarbeit, pfiffige Spieler, Spielwitz, eine gute Atmosphäre im Stadion?
Ehrlich gesagt: Bayer hat nichts als einen potenten Pillen drehenden Sponsor, der die Welt vergiftet, und einen koksäugigen Trainer. Und einen adipösen Manager, der schon rein kreislaufmäßig eine Meisterschaftsfeier nicht überleben würde.
Bayern hat keinen Lothar Matthäus mehr, was den alten Abscheu-Koeffizienten erheblich reduziert. Bayern spielt den ästhetisch besten Fußball der Republik. Und Hitzfeld ist allemal angenehmer als der Däumling. Gut: Bayern hat crazy Olli und Uli Hoeneß mit seiner Wurstfabrik. Aber Bayern hat auch Elber, Scholl und den wunderbaren Roque Santa Cruz – eben insgesamt das sympathischere Personal.
Beide Teams sind auf dieselbe Weise zusammengekauft. Für Leverkusen spricht allein das Nicht-schon-wieder-diese-Bayern. Aber reicht das für eine emotional tragfähige Positionierung? Können wir auf solch dünnem Eis den letzten Spieltag psychisch unbeschadet überstehen? Was passiert mit uns, wenn der wunderbare Santa Cruz nach verlorener Meisterschaft plötzlich zu weinen beginnt? Und wenn der Strafraum-Bulldozer Ulf Kirsten als neuer deutscher Meister Zigarren rauchend und breit grinsend mit der Schampusflasche in der Hand im Whirlpool sitzt? Können wir uns das zumuten? Haben wir das wirklich gewollt?
Wir gehen einen schweren Gang an diesem letzten Spieltag. Am besten wir gucken gar nicht hin. MANFRED KRIENER
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