press-schlag: Gheorghe Hagi fliegt vom Platz und gewinnt dennoch einen Cup
ABGANG DER KARPATENGURKE
Es war ein echter Hagi, was sich der rumänische Ballstreichler in der 93. Minute des Uefa-Cup-Finales leistete! Die wichtigsten Spiele seiner Karriere hat er regelmäßig verpatzt, und auch am Mittwoch in Kopenhagen machte er keine Ausnahme. Bravourös hatte sich sein aktuelles Team Galatasaray Istanbul in die Verlängerung gegen Arsenal London gekämpft, brillant hatte Gheorghe Hagi Regie geführt. Doch dann verlor er plötzlich die Nerven, beging nach kleiner Rangelei eine Tätlichkeit gegen Tony Adams und wurde vom Platz gestellt. Dieses einzige Mal war Hagi das Schicksal jedoch hold: Galatasaray hatte in Unterzahl zwar keine Chance mehr, das Golden Goal zu schießen, siegte aber dann im Elfmeterschießen.
„Karpaten-Maradona“ war ein Beiname, den der Rumäne nie leiden mochte, und gerade jetzt kann man sehen, warum der vermeintliche Ehrentitel auch nicht passt, obwohl es in den letzten fünfzehn Jahren wohl kaum einen Europäer gab, der bezüglich fußballerischer Finesse so nah an den Argentinier herankam. Aber sich Jahre nach Beendigung der Karriere, nach überstandener Krankheit, mitten in einer Drogen-Rehabilitation an Sandsack und Gymnastikgeräten zu triezen, so wie es Diego Maradona derzeit tut, um beim Abschiedsspiel für Lothar Matthäus ein wenig mit kicken zu können – bei einem Gheorghe Hagi wäre Derartiges absolut undenkbar.
Der mittlerweile 35-Jährige hat immer den bequemeren Weg bevorzugt und deshalb sein Talent nie ausschöpfen können. Im alten Rumänien protzte er gern mit dicken Autos und gab sich als treuer Unterstützer der Ceaușescu-Familie und vor allem des sportbegeisterten Diktatorensohnes, der Hagis Klub Steaua Bukarest im Zweifelsfall die Meisterschaft auch mal erschummelte. Als bestem Fußballer des Landes blieb ihm sicher nichts anderes übrig, aber etwas weniger Emphase hätte kaum geschadet.
Beim Europacup-Triumph der Bukarester 1986 gegen den FC Barcelona war Hagi noch nicht dabei, sein erster großer internationaler Auftritt kam 1990 bei der WM in Italien. Brillant in der Vorrunde, zeigte er im Achtelfinale gegen Irland erstmals jene Eigenschaften, die künftig typisch für ihn waren: Eigenbrötelei, Lustlosigkeit, Unbeherrschtheit, Meckerfreude. Die spielerisch überlegenen, aber uninspirierten Rumänen schieden im Elfmeterschießen aus.
Noch schlimmer kam es 1994 in den USA. In einem grandiosen Match mit einem phantastischen Hagi hatte Rumänien die Argentinier ausgeschaltet und stand gegen schlappe Schweden vor dem Einzug ins WM-Halbfinale. Doch es war heiß in Palo Alto und Gheorghe Hagi verlor die Lust. Im größten Spiel seiner Laufbahn stand er die meiste Zeit faul auf der schattigen Seite des Platzes herum und zeterte abwechselnd gegen Mitspieler und Trainerbank. Quasi mit zehn Mann rettete sein Team ein 2:2 – und verlor im Elfmeterschießen. Nicht besser erging es den Rumänen bei der EM 1996, als ein 1:2 gegen Spanien das Aus bedeutete, und 1998 im WM-Achtelfinale gegen Kroatien (0:1): Hagi indisponiert, Rumänien raus. 1996 ernannte unsere werte Redaktion den Karpaten-Maradona zur Karpatengurke ehrenhalber.
Auch in seinen Vereinsteams blieb der launische Zauberkünstler seltsam erfolglos. Beim mittelmäßigen AC Brescia, wo alles auf ihn zugeschnitten war, überragend, scheiterte er bei großen Klubs wie Real Madrid oder FC Barcelona. Leider kam ihm die Philosophie des damaligen Barça-Coaches Johan Cruyff, dass der Ball laufen müsse und nicht der Spieler, nur zur Hälfte entgegen. Weil er die Kugel, wenn er sie einmal hatte, nur ungern wieder hergab, saß er meist auf der Bank.
Es wäre nur zu typisch für Gheorghe Hagi gewesen, wenn am Mittwoch Arsenal Sieg und Cup davongetragen hätte. Doch dieses eine Mal hatten die Fußballgötter Mitleid und bescherten ihm zum Ende seiner wechselvollen Karriere endlich den lang ersehnten internationalen Titel. Mit dem im Gepäck kann er nun getrost nach Amerika ziehen, wo er Gerüchten zufolge bei den Matthäus MetroStars anheuern will. Kleiner Tipp: Im Trump Tower wird bald eine Wohnung frei. MATTI LIESKE
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