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press-schlagTeamchef Erich Ribbeck setzt auf das Prinzip Bayern

PANZERKNACKER UND HASENFUSS

Je näher ein großes Turnier rückt, desto hasenfüßiger wird der zuständige Bundestrainer respektive Teamchef des DFB. Dies ist eine mittlerweile schon ziemlich alte Tradition, begründet 1982 von einem gewissen Jupp Derwall. Der ekelte vor der WM in Spanien den genialen Jüngling Bernd Schuster aus dem Kader und versuchte auf Nummer sicher zu gehen, indem er Paul Breitner für das Nationalteam reaktivierte und sich auf diese Weise dem damaligen Machtzentrum im deutschen Fußball, dem Tandem Breitner – Rummenigge, auslieferte. Mit bekannt fatalen Folgen.

Auch Derwalls Nachfolger tendierten stets zu progressiver Risikoarmut. Teamchef Franz Beckenbauer schleppte 1986 ein halbes Dutzend Vorstopper nach Mexiko, das neue Zauberwort hieß Erfahrung, und das Durchschnittsalter der DFB-Teams stieg von Turnier zu Turnier. 1994 sortierte Berti Vogts alles aus, was jünger als 29 war und setzte dafür auf das Comeback des ergrauten Rudi Völler, 1998 ließ er sich gar zur Rückkehr von Lothar Matthäus überreden. Nun also Häßler.

Dass er den bei Turnieren weitgehend unbrauchbaren Sechziger (und komme mir keiner mit dem kurzen Freistoßhoch von 1992) nicht in den Urlaub schicken würde, war nach den Pressekampagnen der letzten Wochen ebenso klar wie das Festhalten an Unglückskeeper Jens Lehmann oder die Nichtberücksichtigung von Zoltan Sebescen. Dennoch zementiert die Nominierung Häßlers einen Trend, den Erich Ribbeck nach dem Rauswurf seines Kompagnons Uli Stielike noch konsequenter verfolgt als zuvor: zurück zum Althergebrachten.

Zwar geht der Teamchef nicht so weit wie Vogts, sondern nimmt auch junge Leute wie Ballack oder Deisler mit, ob diese aber spielen werden, steht auf einem anderen Blatt. Der Kader, den der Teamchef am Montag bekannt gab, atmet jedenfalls eindeutig den Geist des Konservativen, und das ist im aktuellen deutschen Fußball gleichbedeutend mit Bayern München. Das avantgardistischere Gegenmodell Leverkusen hat auch bei Ribbeck klar den Kürzeren gezogen, und dies nicht erst seit der Meisterschaftsentscheidung am letzten Samstag.

Nicht ohne den Platzhirsch

Signifikant ist dabei die Ausmusterung der spielerischen Elemente Stefan Beinlich und Oliver Neuville. Vor allem Neuville stand für den einzigen viel versprechenden Innovationsversuch in der Ära Ribbeck, dem während der EM-Qualifikation erprobten System mit Außenstürmern und teilweise drei Spitzen. Ein Modell, das zwar gute Ansätze brachte, aber auf Anhieb noch nicht besonders funktionierte, weil es eine andere Fußballmentalität erfordert, als die meisten Spieler gewohnt sind. Das nötige schnelle Umschalten von Abwehr auf Angriff überforderte manchen Akteur, vor allem aber bot dieses System eigentlich keinen Platz mehr für Lothar Matthäus. Wohl nicht der unwichtigste Grund dafür, dass die Sache beim abschließenden glücklichen 0:0 in der EM-Qualifikation gegen die Türkei schon wieder erledigt war. Da standen neun aktuelle oder ehemalige Akteure des FC Bayern München auf dem Platz, gespielt wurde der behäbige und kontrollierte, auf Matthäus zugeschnittene Fußball, der im internationalen Vergleich so entsetzlich obsolet erscheint.

Man kann sich bereits ausmalen, wie das deutsche Team bei der EM auftreten wird. Bayern München ohne Effenberg, Lizarazu, Elber und Sergio – es müssten schon Wunder über Wunder geschehen, wenn dabei auch nur ein Sieg herausspringt. Die Besetzung des Angriffs lässt die hohe Flanke als einziges torträchtiges Mittel erahnen, eine leicht auszurechnende Strategie, die bereits 1998 in Frankreich versagte.

Während die Favoriten der EM mit spielerisch versierten Angreifern wie etwa Overmars, Henry, Mpenza, Kluivert, del Vecchio, Figo oder Raúl den Erfolg suchen, lässt das deutsche Team den Wirbler Neuville zu Hause und setzt dafür auf eine veritable Panzerknackerbande: Bierhoff, Kirsten, Jancker. Das erinnert fatal an die Endphase des WM-Viertelfinales 1998 gegen Kroatien, als Berti Vogts glaubte, das Trio Klinsmann, Bierhoff, Kirsten wäre die Rettung. Zurück zu den Wurzeln, heißt einmal mehr die Devise, nur dumm, dass diese längst verfault sind. MATTI LIESKE

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