piwik no script img

press-schlagWenn nichts mehr hilft, hilft Ludwig Wittgenstein

Nexus zum Universum der Schalker Glückseligkeit

Der Fußball hat seine Philosophie. Manchmal kann sie großen Entwürfen Paroli laufen. Mit einer gewissen Verschrobenheit löst man ja bekanntlich das Ticket in die Hallen der Denker. Nietzsche galt als Kauz. Diogenes war ein Penner. Und die Liga? Es geht drunter und drüber. Jeder schlägt jeden. Die Führung wechselt ständig.

Der Souverän der Spielzeit ist die Unbeständigkeit. Viel wird palavert. Manches passiert. Das hat schon Ludwig Wittgenstein erkannt. Der verstand eine Menge von Logik. Aber irgendwie auch von Fußball. Einmal hat er geschrieben, die Welt sei alles, was der Fall ist. Klingt logisch. Das kann jeder Fan in der Westkurve des Olympiastadions in München bestätigen.

Bayern verliert ständig zu Hause. Und Schalke hat seit Jahren wieder mal ein Erfolgserlebnis in Weißwurstlanden. Gewinnt 3:1. Die Sonntagspresse und insbesondere Franz Beckenbauer arbeiten sich an einem schwarzen Verteidiger ab, der versagt haben soll. Das heißt: Bayern verliert eigentlich nicht. Und wenn doch, sind es die individuellen Fehler. Der Einzelne versagt, also kollabiert das bajuwarische Kollektiv.

Ludwig Wittgenstein hätte Beckenbauer entgegnet: Er muss die Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig. Beziehungsweise: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Womit die Meisterschaft ins Spiel gebracht wäre. Ein halbes Dutzend kämpft um die Schale. Es herrscht das Leitmotiv: Erst nach dem Zieldurchlauf darf mit den Muskeln gespielt werden. Unter der Saison gilt Platz eins als Abort. Irgendwo muss eben auch Demut herrschen.

Lautern, einer der sechs Aspiranten, versucht es mit der Renaissance des Proletkults. Mario Basler ascht wieder am Elfmeterpunkt und Trainer Andi Brehme ejakuliert die Drangsal aus jeder Pore. Wobei er sich um Fassung bemüht. Die Grenzen seiner Sprache bedeuten die Grenzen seiner Welt. Fazit: Lautern wird nicht Meister.

Hertha darf auch wieder hoffen. Mit dem Sieg über Dortmund wurde endgültig das Versprechen gekeult, dem Schönspiel zu huldigen. Hertha BSC Berlin, das heißt für die Zuschauer in diesem Frühjahr nichts anderes als: verschärfter Vollzug mit gelegentlichen Freigängen. Wenn sich der Gegner durch sowas verschüchtern lässt, warum nicht. „Monopolfazit“ (Sat.1): Hertha und Dortmund werden es auch nicht.

Leverkusens Armada an Übungsleitern heischt ebenso nach dem Titel. Obwohl Berti in 17 Spielen acht Mal verloren hat. Sein „ungeduldiger Sohn“ (Ko Pierre Littbarski über sich selbst) sehnt sich bereits nach den Zeiten, die so lustig waren – als er nämlich dem Icke Hässler im Flugzeug mit Filzer eine Brille gemalt hat, während der schlief. Und super: Icke hat’s nicht gemerkt. Jetzt haben Berti und Litti die Brille auf, weil sich der Michael Ballack „nich hinterfragen tut“ (Berti) und die Mannschaft „innerlich nich mehr lebt“ (dito). Also: Leverkusen packt’s nie. Niemals.

Bayern hatten wir schon. Die sind eh mit den Gedanken bei ManU. Beckenbauer sagt sowieso: „Aus eigener Kraft können wir es nicht mehr schaffen.“ Sind ja nur noch sieben Bundesliga-Spieltage. Beckenbauer, dieser abgefeimte Logiker.

Am letzten Spieltag trifft Schalke auf Unterhaching, was mancherorts als böses Omen gewertet wird. Doch Wittgenstein hilft auch in diesem Fall: Die Ereignisse der Zukunft können wir nicht aus den gegenwärtigen erschließen. Der Glaube an den Kausalnexus ist ein Aberglaube. Sagt er. Wenn aber ein Glaube in der Bundesliga existiert, dann der Aberglaube. Und Assauers Zigarre ist der Nexus zum Universum der Schalker Glückseligkeit.

Schalke gewinnt das Double. Pokal und Meisterschaft. Denn, so der Wiener Meister, alles was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles was sich klar aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen. MARKUS VÖLKER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen