press-schlag: DFB-Team startet mit 2:0 gegen Litauen zur EM
Ritter der breiten Brust
Was einem so alles widerfahren kann in der Welt des Fußballs, das durfte Teamchef Rudi Völler nach dem mit 2:0 gewonnenen Qualifikationsspiel für die EM 2004 in Portugal gegen Litauen erleben. Eine Stunde lang mussten die erfolgreichen Kicker in der gecharterten Boeing 757 auf dem Flughafen von Kaunas ausharren, weil sich der Tankautomat standhaft weigerte, Kreditkarten vom DFB zur Begleichung der 5.000-Euro-Rechnung zu akzeptieren. Dass sich die finanziellen Ungereimtheiten um DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder nun auch schon in der Computerwelt herumgesprochen haben, ist bemerkenswert, schließlich hatte die störrische Maschine jedoch ein Einsehen, akzeptierte Versuch Nummer neun, und die deutsche Delegation konnte endlich gen Heimat starten.
Der guten Laune von Rudi Völler konnten derartige Kalamitäten kaum etwas anhaben. Immerhin hatte seine Mannschaft zuvor eine Aufgabe souverän gelöst, die der Teamchef nicht zu Unrecht als besonders schwierig empfunden hatte. „Bis zur Besinnungslosigkeit“ habe er vor den Litauern gewarnt, erzählte Völler, und unaufhörlich gepredigt, dass es keine kleinen Gegner mehr gäbe, auch nicht für einen Vize-Weltmeister. Wenn es noch eines Anstoßes bedurft hatte, die Spielerohren von Durchzug auf Empfang umzustellen, dann hatte ihn am Nachmittag Berti Vogts geliefert. Dessen Schotten schafften auf den Färöer Inseln mit Mühe ein 2:2. Ein Punktgewinn, den man nach einer vorherigen Bilanz von fünf Niederlagen und einem Sieg (gegen Hongkong) getrost als sensationellen Erfolg in der McBerti-Ära verbuchen kann.
„Mit breiter Brust“ sei man aufgetreten, „wie man als Vize-Weltmeister auftreten muss“, freute sich Völler und fügte hinzu: „Wir haben den Gegner von Anfang an spüren lassen, dass wir über ein großes Selbstbewusstsein verfügen.“ Die Überheblichkeit, die mit einer solchen Geisteshaltung leicht einhergeht, hoben sich die deutschen Spieler für einige Phasen der zweiten Halbzeit auf, als sie den Ball nonchalant durch die eigenen Reihen laufen ließen, als sei es ein Trainingsspiel. Sie konnten es sich leisten, denn die Gastgeber hatten sich zu diesem Zeitpunkt längst aufgegeben und auch zuvor alles getan, was man von einem etwas eingeschüchterten Außenseiter erwarten kann: die eigenen Chancen nicht genutzt, zur passenden Zeit dem Gegner mit einem Eigentor (59.) aus einer kritischen Phase geholfen; danach einen klaren Elfmeter, der die Sache noch einmal hätte spannend machen können, nicht bekommen, und sich schließlich brav in sein Schicksal gefügt.
Wegbereiter für den deutschen Erfolg waren einmal mehr Michael Ballack mit seinem 1:0 durch einen trockenen Linksschuss in der 27. Minute und Torwart Oliver Kahn, der einen Rivaldo-artigen Flatterball diesmal erstaunlicherweise fest hielt. Das gegen einen harmlosen Kontrahenten die meiste Zeit dominante Mittelfeld mit Torgarant Ballack, Dietmar Hamann und Bernd Schneider verstellte Völler jedoch nicht den Blick auf die Schwachstellen in seinem Team. „Wir haben zu wenig Tore gemacht“, schimpfte er bis zur besagten Bewusstlosigkeit, was vor allem gegen die Stürmer Carsten Jancker und Miroslav Klose ging. Auch die Bewertung des Schalkers Jörg Böhme fiel mit den Worten: „Er hat sich bemüht, aber er kann mehr, als er gezeigt hat“, relativ vernichtend aus. Da Böhme in Hinblick auf die WM 2006 mit 28 auch nicht mehr der Jüngste ist, dürfte seine Ablösung durch eine der nachdrängenden Nachwuchskräfte oder, im schlechteren Fall, durch Christian Ziege, nur eine Frage der Zeit sein.
Zunächst scheint Rudi Völler entschlossen, am WM-Personal festzuhalten, doch rechnet er selbst damit, dass es aufgrund des dichten Terminplans zu etlichen Ausfällen kommen wird, die dann der Jugend das Tor ins DFB-Team öffnen könnten. Entsprechend froh ist der Teamchef, dass die tückische Aufgabe in Kaunas, inklusive Abflug, erledigt ist. „Jetzt wird es schwer, uns noch von der Tabellenspitze zu verdrängen“, tönte ein wenig präpotent Michael Ballack. Ein paar gefährliche Fußballzwerge kommen schließlich noch. Bertis Schotten zum Beispiel. MATTI LIESKE
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