press-schlag: Bayern setzt auf Jugend – aber nur im Ananasspiel
Ende ohne Neuanfang
Es war 22.16 Uhr, als beim FC Bayern die Zukunft hätte beginnen können. Mehmet Scholl trabte vom Platz, klatschte an der Seitenlinie den Neuen ab, Bastian Schweinsteiger, einer von den Jungen. Hitzfeld hatte es ja versprochen: dem Nachwuchs eine Chance zu geben. Nicht, dass diese plötzliche Anwandlung nach vier Jahren irgendetwas mit Kaisers jüngstem Plazet zu den zahllos vernachlässigten Talenten an der Säbener Straße zu tun hätte – Bewahre! Nein nein, in einem solchen Ananas-Spiel wie gegen Lens, den Siebten der französischen Liga, dürfen auch mal die Junioren ran – mehr als schief gehen kann’s ja eh nimmer. So sah das also aus, als dieser 18-Jährige in der 70. Minute aufs Feld lief.Und siehe da: Die Jugend kann’s!
Es war 22.27 Uhr, als Schweinsteiger per wunderbarem Schweinübersteiger Kameruns WM-Star Rigobert Song auswackelte und Giovane Elber einen perfekten Flankenball zukommen ließ, den dieser gegen die Latte und Markus Feulner, der andere Junior, im Anschluss schließlich ins Netz beförderte: 3:2 für Bayern, der erste Champions-League-Sieg in dieser Spielzeit, eine Coproduktion ehemaliger A-Jugendlicher – sollte das ein Zeichen sein?
Es sollte natürlich nicht. Zwei Minuten später hieß es 3:3, die Partie war zu Ende, und so viel Bayern-Jugend auf einmal wird man im Olympiastadion so schnell nicht mehr sehen. „Ohne neun“ ging es ins für Bayern bedeutungslose Spiel, viel Platz also für die Talente aus der Reserve, zum Beispiel für Stefan Wessels, 23, Ex-Regionalliga-Torwart, fünf Bundesligaspiele. Oder: Markus Feulner, 20, Immer-noch-Regionalliga-Stürmer, zwei Bundesligaspiele. Oder: Bastian Schweinsteiger, 18, Gerade-erst-Regionalliga-Stürmer, null Bundesligaspiele. Oder: Philipp Lahm, 18, Gerade-erst-Regionalliga-Verteidiger, null Bundesligaspiele. Endlich neue Gesichter in der Mixed Zone.
So neu, dass Schweinsteiger fast unbemerkt an den Journalisten vorbeigehuscht wäre. Mit Keks und Banane in Hand und Mund gab er dann doch noch sein erstes Champions-League-Interview. Erkenntnis: Kommt wie Ede Stoiber aus Oberaudorf, hat erst zwei Mal bei den Profis mittrainiert, ist im Sommer noch deutscher Jugendmeister mit dem FCB geworden und erfuhr von einem Reporter von seiner Berufung ins A-Team. Schweinsteiger: „Ich hab erst gedacht, der will mich verarschen. Aber dann hat auch schon der Gerland angerufen.“ Hermann Gerland, der Coach der Bayern-Amateure. Nach einigen verkorksten Stationen im Profilager ist der seit einem Jahr wieder beim FCB; von 1990 bis 95 war er schon mal da. Da hießen seine Amateure Hamann, Nerlinger, Kuffour und Babbel. Nach Schweinsteigers brillanter Torvorlage sangen die Fans: „Hermann Gerland, du bist der beste Mann!“ Kann Gerland das, was Hitzfeld nicht kann: Talente formen, fördern, integrieren?
Kein böses Wort dazu von den Jungen, logisch. Fahrige bis unverständliche Sätze dagegen vom Chef. Zum mutigen Spiel von Rechtsaußen Feulner sagte Hitzfeld: „Er hat sich international durchsetzen können, muss jetzt aber im Amateurbereich Zeichen setzen.“ Das klingt nach: Vielen Dank fürs Mitspielen, jetzt aber zurück ins Glied! Schweinsteigers Zauberpass-Debüt kommentierte Hitzfeld: „Wir haben im Nachwuchsbereich gute Talente und ich freue mich, dass wir die in Zukunft in der ersten Mannschaft einsetzen können.“
Wenn’s denn so wäre. Schon der Samstag wird das Gegenteil beweisen: Im überhaupt nicht bedeutungslosen Spiel gegen den VfL „Effe“ Wolfsburg werden Schweinsteiger & Co. wieder weg vom Schaufenster Olympiastadion sein, dafür am Sonntag im Grünwalder Stadion spielen: Bayern Amateure gegen den 1. FC Saarbrücken, Regionalliga. Die Alteingesessenen oder teuer Neuverpflichteten werden zurück ins Team drängen. Allein im Mittelfeld streiten dreizehn Spieler um die Plätze. Das Prinzip Rotation entfällt, da die internationalen Termine entfallen. Entsprechend heftig kämpft die Stammbelegschaft um ihre Job. Das sind magere Aussichten für die Jungen.
Es war 23.10 Uhr, als Bayern-Sprecher Markus Hörwick den Feierabend ausrief: „Hiermit beenden wir die Champions-League-Saison.“ Zum Neuanfang traut sich der FC Bayern so schnell aber dennoch nicht.
THOMAS BECKER
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