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Archiv-Artikel

portrait Türkische Literatin meldet sich zurück

In diesem Land weinen nicht nur kurdische, sondern auch türkische Mütter.“ Mit diesen Worten begründete die Grande Dame der zeitgenössischen türkischen Literatur, Adalet Agaoglu am Wochenende ihren Austritt aus dem türkischen Menschenrechtsverein IHD. Sie wirft dem Verein vor, einseitig kurdisch-nationalistische Interessen zu verteidigen.

Die Entscheidung der 76-Jährigen kam überraschend. Es war in den letzten Jahren um die preisgekrönte Autorin und Vorreiterin der feministischen Literatur der Türkei still geworden. 1998 wurde sie Ehrendoktorin der Ohio State University, in den USA verkauften sich ihre Romane und Erzählungen besser denn je. Ungeheuer sensibel beschreibt sie darin Mann-Frau-Beziehungen aus weiblicher Sicht. Sie schrieb als Erste frei über die weibliche Sexualität in der Türkei, erzählte von Frauen, denen angesichts gesellschaftlicher Konventionen und der Teilnahmslosigkeit ihrer Männer „die Seele friert“.

Vor neun Jahren saß sie auf einer Bank am Bosporus, als ein betrunkener Fahrer auf sie zuraste. Sie lag lange im Koma und verarbeitete ihre Grenzerfahrung in einem Buch, in dem die Hauptrolle der Tod spielt.

Der Tod junger Menschen beschäftigte die Romanistin auch, als sie sich Ende der 1980er-Jahre für die kurdische Frage in der Türkei zu interessieren begann. Agaoglu, die einer alteingesessenen bürgerlichen Familie aus Ankara entstammt, entschloss sich zur Mitarbeit an der Gründung des Menschenrechtsvereins IHD. Doch der manövrierte sich in den 90er-Jahren selbst in eine umstrittene Position. „Warum kritisiert der IHD nie die Anschläge der PKK?“, hieß es in der rechten, dann aber auch in der linksliberalen Öffentlichkeit. Die Zeitungen schrieben, dass ohne Erlaubnis der PKK im IHD nichts passiere. Der Verein wurde mehrmals wegen PKK-Sympathisantentums angeklagt, auf seinen Vorsitzenden Akin Birdal wurde geschossen.

Aber niemand beschuldigte den IHD so schwer wie jetzt Agaoglu. „Er betreibt eine PKK-nahe, rassistisch-nationalistische Politik“, schrieb sie dem Vorstand. Obwohl kurdisch-nationalistische Provokationen wie die auf die PKK zurückgeführten Anschläge in Touristenorten eskalierten, hätte der IHD nicht den Mut gehabt, diese zu kritisieren.

Nein, sie hat keine Angst vor Bedrohungen: „Als eine Intellektuelle sage ich nur, was ich denke.“ An ihrem Entschluss, aus dem IHD auszutreten, habe das Verhalten des IHD angesichts des jüngsten Mordanschlags auf den kurdischen Politiker Hikmet Fidan entscheidenden Anteil. Fidan sei von der PKK wegen seiner kritischen Haltung liquidiert worden und der IHD habe dazu geschwiegen. DILEK ZAPTCIOGLU