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Archiv-Artikel

portrait „Norwegens Kennedy“ wieder obenauf

Den Redner Jens Stoltenberg zu erleben, hat hohen Unterhaltungswert. Eloquent, schlagfertig, mit ausschweifender Körpersprache. Von den deutschen Spitzenpolitikern könnte ihm wohl allenfalls ein Joschka Fischer in absoluter Bestform das Wasser reichen. Das hätten Papa Thorvald – später Norwegens Verteidigungs- und Außenminister – und Mama Karin sich kaum vorstellen können, als das Diplomatenehepaar 1964 nach längerem Auslandsaufenthalt mit dem fünfjährigen Jens wieder nach Oslo kam. Da war ihr Sohn ein stotterndes, schüchternes Kind, das große Probleme hatte, lesen und schreiben zu lernen. „Eine Rudolf-Steiner-Schule war wohl meine Rettung“, urteilt Norwegens künftiger Ministerpräsident selbst: „Da wurden solche Kinder wie ich akzeptiert.“

Jens holte bald auf und überholte. Er studierte Volkswirtschaft und Mathematik und legte ein glänzendes Examen ab. Rasch avancierte er bei den Jungsozialisten, deren Vorsitzender er wurde. Und schon damals fiel Stoltenberg als engagierter Redner auf mit einem ganz speziellen Vermögen, Kontakt zu anderen Menschen zu finden – vor allem zu denen des anderen Geschlechts.

In Umfragen landete er wiederholt auf Platz eins der Prominentenliste, den Mütter sich als idealen Vater ihrer Kinder vorstellen konnten. Und überhaupt als Wunschpartner. Der Spitzname „Norwegens Kennedy“ war damit natürlich schnell gefunden.

Landesmutter Gro Harlem Brundtland wurde auf seine Fähigkeiten aufmerksam und wollte ihn eigentlich schon 1992 als sozialdemokratischen Parteivorsitzenden sehen. Doch schien er den GenossInnen mit seinen 33 Jahren noch viel zu jung für so eine Aufgabe.

So wurde er erst einmal Wirtschafts-, Energie- und Finanzminister und acht Jahre später Ministerpräsident. Wie auch jetzt wieder als Nachfolger von Kjell Magne Bondevik. Stoltenberg blieb damals allerdings nur eineinhalb Jahre im Amt und musste trotz allem persönlichen Charisma mit seiner innerlich tief zerstrittenen sozialdemokratischen Arbeiterpartei eine vernichtende Wahlniederlage einstecken. Eine Quittung auch dafür, dass er versucht hatte, einige der heiligsten Kühe des norwegischen Sozialsystems zu schlachten, öffentliche Leistungen zu kürzen und eine Privatisierungswelle einzuleiten.

Der Flirt mit „New Labour“ blieb kurzfristig. Vier Jahre später gewann der bekennende Pragmatiker als Retter des Wohlfahrtsstaats die Wahlen: „Man kann alles von unterschiedlichen Perspektiven sehen. Isländische Berge haben auch verschiedene Namen, je nachdem, von welcher Seite man auf sie schaut.“

REINHARD WOLFF