portrait : „Es ist furchtbar, aber es geht“
Harald Schmidt, Robert Gernhardt, Gerhard Polt, Dieter Hildebrandt und Georg Kreisler besitzen ihn schon: den Prix Pantheon, der seit 1995 vergeben wird und als einer der renommiertesten Kabarettpreise der Republik gilt. Aber ob Jürgen Becker ihn in der Kategorie „reif und bekloppt“ annehmen würde, da war sich die Jury nicht so sicher, hatte der 46-Jährige Kabarettpreise doch als Quatsch bezeichnet. Zuletzt baute die Jury aber darauf, dass Becker diesmal eine Ausnahme machen würde: „Er ist bekloppt genug, ihn anzunehmen.“ „Biotop für Bekloppte“ hieß das Programm, mit dem der Kölner Anfang der 90er erstmals als Solokabarettist überregional von sich reden machte. In seiner Geburtsstadt war er da bereits so etwas wie eine Institution: als „Irokesen-Heinz“ der legendären Kölner „Stunksitzung“. Die hatte er 1984 mit aus der Taufe gehoben. Auch deren Erkennungszeichen ist seine Erfindung: ein schwarz-roter Stern mit Narrenkappe.
Das passte, stand doch am Anfang seiner künstlerischen Karriere politisches Aufbegehren: Im Sommer 1982 besetzten linke Sozialarbeitsstudenten aus Protest die Fachhochschule in Köln-Zollstock. Unter ihnen: Jürgen Becker. Nach Ende der Aktion wurde aus der Besetzer- eine Projektgruppe: Mit einem Kinderzirkus wollten sie die Welt verbessern. Doch der – nicht sehr erfolgreiche – „Kölner Spielecircus“ mutierte recht bald zur ersten alternativen Karnevalssitzung der Republik. Und Becker wurde zum Stunksitzungspräsidenten.
Der blieb er bis 1995. Dann verabschiedete sich Becker in die Babypause, denn mittlerweile war er Papa eines Sohnes geworden. Zudem war aus dem verhinderten Sozialarbeiter ein begehrter Kabarettist geworden: Seit 1992 moderiert er die WDR-„Mitternachtsspitzen“, die zweitälteste Kabarettsendung im deutschen Fernsehen. Im selben Jahr startete auch seine Freitagmorgendliche „Frühstückspause“ mit Didi Jünemann im WDR-Radio. Mit dem Westfalen Rüdiger Hoffmann veranstaltete der Rheinländer einen „nordrhein-westfälischen Heimatabend“ – Motto: „Es ist furchtbar, aber es geht.“ Und mit seinem zweiten Soloprogramm „Da wissen Sie mehr als ich!“ versuchte Becker, das Mysterium des „Rheinischen Kapitalismus“ zu ergründen.
„Mit absurden Rück- und Kurzschlüssen entblößt er genüsslich die gesellschaftlichen Zustände, hinterlistig und spitzbübisch“, heißt es in der Laudatio des Bonner Kleinkunst-Theaters Pantheon. „Nichts und niemand ist ihm dabei heilig, schon gar nicht die Kirchen und ihre Fürsten.“ Und auch nicht das Kabarett, über das Becker einmal gesagt hat: „Kabarett schön und gut, aber man muss auch mal einen Witz machen dürfen.“ PASCAL BEUCKER