portrait : Der empfindsame Theaterberserker
Wer Thomas Lawinky schon einmal im Theater erlebt hat, weiß um seine physische Präsenz. Der 42-Jährige hat nicht nur die bullige Statur eines Exboxers und das verwegene Gesicht eines ewigen Jungen. Er bringt eine kraftstrotzende Energie mit auf die Bühne, die er, wie sein Ensemblespiel immer wieder zeigt, durchaus zu kontrollieren versteht. Kein Wunder, dass man ihn gerne als wütenden Proll besetzt.
Vergangene Woche allerdings ging Thomas Lawinky bei einer Frankfurter Ionesco-Premiere den FAZ-Kritiker Gerhard Stadelmaier von der Bühne herab an. Mitmachtheater und Publikumsanspiel hatte Regisseur Sebastian Hartmann zwar vorgesehen, die Eskalation zwischen Stadelmaier und Lawinky jedoch nicht. Die FAZ inszenierte den dummen Zwischenfall als Martyrium eines Kritikers, schon am folgenden Tag kündigte der Schauspieler von sich aus.
Lawinky wurde 1964 in Magdeburg geboren, absolvierte seine Schauspielausbildung an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam. Trotz zahlreicher Film- und Fernsehrollen in „Polizeiruf 110“ und „Tatort“ ist der freie Schauspieler auch immer wieder am Theater aufgetreten – vor allem dann, wenn seine Regisseure aus dem Osten kamen. So stand er in den letzten Berliner Produktionen von Armin Petras am Deutschen Theater auf der Bühne: In dem Stück „3 von 5 Millionen“ spielte er den arbeitslosen Ostberliner Drehbuchautor Martin, der mit seinen gleichfalls arbeitslosen Künstlerkumpels eine Bank zu überfallen versucht. Man glaubte diesem Martin alles – die Wut, die Ostalgie und den beinharten Müggelseehumor, hinter dem sich eine empfindsame Seele verbarg. Nur den Drehbuchautor nicht so ganz.
Vor allem aber ist Thomas Lawinky Sebastian Hartmann treu geblieben, einem Regisseur, dem sein älterer (Ost-)Kollege Jürgen Gosch schon einmal „peitschende Unbildung“ attestiert hat, die „ein deutliches Produkt der (unbürgerlichen) DDR“ sei. Lawinky folgte dem selbstbewussten Castorf-Epigonen von seinen anarchischen Anfängen mit dem freien „Wehrtheater Hartmann“ über seine Zeit als Hausregisseur am Hamburger Schauspielhaus – etwa als Ringer Schmitz in der Max-Frisch-Inszenierung „Biedermann und die Brandstifter“ – bis nach Magdeburg, wo er in dieser Spielzeit den Über-alle-Leichen-Geher Macbeth spielt.
Sind der entlassene Schauspieler und sein schäumender Kritiker womöglich nur späte Opfer der DDR? Immerhin hat Claus Peymann, der zwar nichts fürs Mitmachtheater, aber viel für öffentlichkeitswirksame Opfer übrig hat, Thomas Lawinky angeboten, sofort Mitglied des Berliner Ensembles zu werden. EVA BEHRENDT