portrait : Der konsequente Fürbitter
Zwischen allen Stühlen sitze ich fest auf der Erde.“ Diese Zeile aus einem Gedicht von Peter Hacks passt zum Leipziger Nikolaikirchenpfarrer Christian Führer. Wobei er gewiss nicht nur einen festen Erdensitz, sondern auch einen regen Draht zum Himmel beanspruchen würde. Denn seine politische Wirkung wurzelt in einem konsequent verstandenen und gelebten Evangelium.
„Deine Rede sei Jaja und NeinNein“, heiß es im Neuen Testament (Matthäus, Kapitel 5, Vers 37). Darin ist Führer stets nur bedingt systemkompatibel gewesen. „Ich bin kein Diplomat!“ Aber als es um die Geiseln im Irak ging, deckten sich seine Aktivitäten einmal mit den Interessen der Regierung. Außenminister Steinmeier rief persönlich bei ihm an, als die beiden Techniker aus Sachsen frei in der deutschen Botschaft in Bagdad eingetroffen waren. Gegen wöchentliche Mahnwachen und Gebete hatte in dieser Sache niemand etwas.
Das war vor allem vor 1989 nicht immer so. Seit 1980, dem Jahr der ersten kirchlichen Friedensdekade, amtiert der heute 63-Jährige an der Kirche im Leipziger Zentrum. Seit 1982 gibt es hier die Friedensgebete, die sich zunächst gegen das Wettrüsten richteten. Als sich ab 1988 die Situation in der DDR zuspitzte, bekamen die Friedensgebete einen aufsässigeren Charakter. Es ging um Inhaftierte und Ausreisewillige. Wie eine Lawine schwollen von hier ausgehend schließlich die Montagsdemos an, bis das morsche Regime zusammenbrach.
Führers Widerstandsbiografie hätte gereicht, um Preise zu kassieren und ein sattes Leben im Schoß der neuen Ordnung zu führen. Den Theodor-Heuss-Preis bekam er 1991 tatsächlich. Aber schon 1993 findet man ihn als Koordinator der kirchlichen Erwerbsloseninitiativen in Sachsen wieder. Seine dichte Igelfrisur scheint nur seine Widerborstigkeit zu unterstreichen. Ganz in seinem Element ist er im Februar 2003, als es gegen den drohenden Irakkrieg geht. Wieder wird Führer zum Führer von Montagsdemos.
Ein halbes Jahr später bekommt er allerdings die Kritik seiner Landeskirche zu spüren. Beten für die Leipziger Olympia-Bewerbung 2012, das riecht manchen doch zu sehr nach Brot und Spielen. Führer aber will „den Kopf heben, um aus dem Tal der Tränen herauszufinden“. Andererseits schäumt die Antifa, weil er sich mit Neonazi Christian Worch traf, mit dem ihn außer dem Vornamen gewiss nichts verbindet. Es ging um Deeskalation bei den regelmäßig von Worch in Leipzig angemeldeten Aufzügen.
Führer inszeniert sich nicht und wird doch dauernd gefragt. Natürlich auch gestern. Endlich durfte sich der Rufer und Mahner vorbehaltlos freuen – aber auch dazu ermuntert ja das Evangelium. MICHAEL BARTSCH