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politik mit drei promille von RALF SOTSCHECK

Jeremy Paxman ist ein eitler Gesell. Er hält sich wegen seiner wadenbeißerischen BBC-Interviews mit britischen Politikern für eine Art Volkstribun. Kürzlich war Charles Kennedy, der Chef der Liberalen Demokraten, sein Opfer.

„Charles Kennedy“, begann Paxman seine Fragestunde, „warum sagten sämtliche Ihrer Kollegen, mit denen ich während der Vorbereitung für dieses Interview gesprochen habe, dass Sie hoffentlich nüchtern zur Sendung erscheinen?“

Das seien die üblichen Westminster-Klatschgeschichten, nichts als Verleumdungen, antwortete Kennedy, doch Paxman ließ nicht locker: „Wie viel trinken Sie denn?“ In Maßen, sagte Kennedy, aber Paxman war noch nicht zufrieden: „Trinken Sie auch privat? Ein Fläschchen Whisky vorm Schlafengehen vielleicht?“ Das Interview löste bei Politikern aller Parteien Entrüstung aus, sodass Paxman sich zum ersten Mal bei einem Interviewpartner entschuldigen musste. Zu Recht, denn seit wann ist Trunksucht ein Hindernis für ambitionierte Politiker? Viele haben unter Alkoholeinfluss Geschichte gemacht, darunter eine Reihe US-Präsidenten: Frank Pierce war schwerer Alkoholiker, Ulysses S. Grant war nicht weit davon entfernt, und George W. Bush war zumindest früher einer.

Der britische Kriegspremier Winston Churchill galt ebenfalls als großer Trinker. Einmal schnauzte ihn der Labour-Abgeordnete Bessie Braddock im Unterhaus an: „Du bist betrunken, verdammt betrunken.“ Churchill antwortete darauf: „Bessie, du bist hässlich, verdammt hässlich. Aber ich werde morgen früh nüchtern sein.“ Seine Vorgänger, Pitt the Elder und Pitt the Younger, regierten ein paar hundert Jahre zuvor mit mindestens drei Flaschen Port täglich.

Auch in Deutschland gehört Abstinenz nicht zur Berufsbeschreibung eines Politikers. Franz Josef Strauß war für seine Gelage berüchtigt und diente vielen seiner CSU-Parteikollegen als Vorbild, wenn man die lange Liste der Verurteilungen bayerischer Politiker wegen Trunkenheit am Steuer betrachtet. Bei der SPD gibt es auch nicht nur Fruchtsafttrinker – Brandt hieß schließlich nicht „Weinbrand-Willy“ wegen seiner goldenen Haarfarbe.

In letzter Zeit sind es vor allem die Länder des ehemaligen Ostblocks, die hochprozentige Schlagzeilen machen. Bei Boris Jelzin waren nüchterne Momente die Ausnahme, Polens Präsident Aleksander Kwasniewski soll Mitte der Neunzigerjahre volltrunken vor den Vereinten Nationen aufgetreten sein, und in Estland sind in jüngster Vergangenheit gleich mehrere hochrangige Politiker durch Besäufnisse aufgefallen.

Manchmal hat das peinliche Folgen. George Brown, der Ende der Sechzigerjahre für kurze Zeit britischer Außenminister war, unternahm einmal eine Dienstreise nach Peru. Bei einem Empfang in der dortigen britischen Botschaft vertilgte er eine Menge schottischen Whisky und forderte jemanden in einem langen, roten Kleid zum Tanz auf. Die Person lehnte ab und erklärte ihm: „Erstens bist du betrunken. Zweitens ist das die peruanische Nationalhymne. Und drittens bin ich der Kardinal von Lima.“

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