piwik no script img

pickpocketsHerman Melville und jene Sache namens Ruhm

Jenseits des Horizonts

„Melville begann, so wie er es immer macht, über die göttliche Vorsehung, die Zukunft und alles was jenseits des menschlichen Horizonts liegt zu disputieren, und er teilte mir mit, dass er sich ‚ziemlich über seine völlige Auslöschung im Klaren wäre‘; dennoch scheint er immer noch keinen Frieden mit dieser Vorahnung gefunden zu haben; und ich denke, er wird nicht eher ruhen, bis er nicht seinen endgültigen Glauben zu fassen bekommt.“ Diese Notiz stammt aus dem Tagebuch Nathaniel Hawthornes, den Herman Melville 1856 in London besuchte, und diese Notiz gibt ein Psychogramm Melvilles in Miniaturform.

Zwar war er zu dem Zeitpunkt erst 37 Jahre alt, aber wegen des katastrophalen Misserfolgs seiner ambitionierten Großromane „Mardi“, „Moby Dick“, „Maskeraden“ und „Pierre“ galt er in der literarischen Öffentlichkeit bereits als erledigter Fall – und Melville war sich völlig illusionslos dessen bewusst, dass er mit seiner radikalen, alle Konventionen sprengenden Konzeption von Literatur auf verlorenem Posten stand.

Zwar hatte er mit seinen Romanen „Redburn“ und „White-Jacket“ noch einmal an die Publikumserfolge seiner autobiografisch gefärbten Südseeromane „Typee“ und „Omoo“ anknüpfen können; als er dann aber literarisch mit jenen Visionen Ernst machte, die sein Freund Hawthorne als „jenseits des menschlichen Horizonts“ bezeichnete, verprellte Melville das auf Realismus und Erbauung versessene Publikum, ging schließlich als Zollinspektor im Hafen von New York in eine Art innere Emigration und verfasste, wie in ein ununterbrochenes Selbstgespräch versunken, fast nur noch hochkomplizierte Lyrik, die 1876 im gewaltigen Versepos „Clarel“ kulminierte.

„Je weiter“, schrieb er kurz vor seinem Tod, „unsere Zivilisation über die gegenwärtigen Grenzen hinweg voranschreitet, umso billiger wird jene Sache namens ‚Ruhm‘, ganz besonders im Bereich der Literatur.“ Die Sache namens Ruhm hat Melville längst eingeholt. Zumindest „Moby Dick“ gilt als einer der größten Romane der Weltliteratur. Auf dem deutschen Buchmarkt kursierte er in diversen mehr oder minder soliden Übersetzungen mehr oder minder verstümmelter Fassungen. Die Neuübersetzung von Matthias Jendis, die unlängst bei Hanser erschien, wurde zwar von den Missklängen eines Übersetzerstreits begleitet, führte jedoch dazu, dass in der Literaturkritik endlich auch einmal dezidiert über Probleme des literarischen Übersetzens räsoniert wurde; das nämlich ist ein weites Feld, das längst nicht die Beachtung findet, die es eigentlich verdient hätte.

Die Probleme zeigen sich hier schon im Titel: Bei Hanser heißt der Roman jetzt „Moby-Dick“, mit Bindestrich; es kommt hier eben auf jede Kleinigkeit an.

Wem freilich diese Neuedition zum wahrhaft stolzen Preis von 68 Mark zu teuer sein sollte – auch wenn das eine unbedingt lohnende Investition ist –, ist mit der älteren Übersetzung von Alice und Hans Seiffert im Taschenbuch nicht übel bedient. Zwar neigt diese Fassung durchweg zu stilistischen Glättungen des sperrigen, gelegentlich krausen, manchmal fast konfusen Originals, zeigt sich diesem aber durchweg gewachsen und liest sich immer noch gut.

Besonders verdient gemacht um Melville hat sich der kleine Verlag Achilla Presse, bei dem in den letzten Jahren deutsche Erstausgaben der Reisetagebücher und des Romans „Mardi“ sowie eine Neuausgabe des philosophischen Hochstaplerromans „Maskeraden“ erschienen sind. Ein begrüßenswertes Editionsunternehmen, das diesen hochproduktiven Autor vor der Gefahr bewahrt, nur noch mit „Moby Dick“ in Verbindung gebracht zu werden. Alle genannten Romane liegen inzwischen auch als Taschenbücher vor.

Vorm deutschen Buchhorizont ist Herman Melville also deutlich erkennbar. Und Melville zu lesen heißt seinen Horizont zu erweitern.

KLAUS MODICK

Herman Melville: „Moby Dick“. AtV.668 Seiten, 19,90 DMHerman Melville: „Maskeraden“. btb.555 Seiten, 24 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen