piwik no script img

Archiv-Artikel

peters‘ paradise Auch das nicht so Gute ist nicht immer schlecht Herzlichen Glückwunsch, Herr Kosslick!

Da die Berlinale mittlerweile auch schon wieder zur Hälfte vorüber ist, scheint es an der Zeit, eine erste Zwischenbilanz zu wagen. Viele, viele Menschen sichteten in den letzten fünf Tagen zahllose Werke, gaben sich der Filmkunst bedingungslos hin und haben jetzt ihre Not, die gesammelten Eindrücke zu sortieren.

Würde man im Wettbewerb eine Richtung, eine Tendenz, ja eine Entwicklung ausmachen wollen, müsste man wohl sagen, dass er übers Wochenende auf seine Weise an Kontur gewann. Allmählich beginnt man sozusagen, die besondere Struktur des Wettbewerbs zu verstehen. Fragte man sich anfangs noch besorgt, wie denn wohl der eine oder andere Film seinen Weg ins Hauptprogramm der Berlinale finden konnte, so muss man Festivaldirektor Dieter Kosslick inzwischen zu seiner klugen Entscheidung gratulieren, die durchschnittlichen und schwächeren Filme dieses Mal gleich in den ersten Tagen zu positionieren. Denn um einen guten Film überhaupt als guten Film zu erkennen, braucht es auch die weniger guten Filme, die sich in der Qualität erheblich von den nicht so guten Filmen unterscheiden. Und da die vielfältigen Erscheinungsformen des nicht so Guten bereits sehr beeindruckend gezeigt worden sind, kann das nur heißen, dass das wirklich Gute bestimmt noch kommt.

Die Berlinale gleicht insofern einer Krokusblüte, die sich im warmen Licht der Wintersonne erst zögerlich entfaltet, um dann bald in ganzer Pracht zur Freude aller zu erstrahlen. Aber selbst das nicht so Gute war nicht immer wirklich schlecht. In „Confidences Trop Intimes“ wurde schön viel geredet und gezeigt, wozu französisches Kino fähig ist; in „Morgengrauen“ wurden trübselige Schweden in sachangemessen schwedischer Trübseligkeit fotografiert; und in „Country Of My Skull“ ließ Regisseur John Boorman das tolle, aber bislang weithin unbekannte Wörtchen „ubuntu“ so lange erklären, dass es inzwischen Einkehr in den Sprachgebrauch des internationalen Filmjournalismus fand.

Mit „Monster“ wurde wiederum nachgewiesen, dass man mit Make-Up nicht nur hübsche Menschen hübscher, sondern auch ganz hübsche Menschen hässlich schminken kann, was in dieser Form vielleicht noch nicht so bekannt war; und „The Missing“, der flotte Western über den florierenden indianisch-mexikanischen Jungfrauenhandel, war mit Sicherheit der lustigste Ron-Howard-Film seit „Der Grinch“.

Aber die Berlinale leistete noch mehr. Gemäß dem Anspruch, sich verstärkt dem politischen Film zu widmen, ist es dem Festival bislang eindrucksvoll gelungen, auch das als politisch zu definieren, was man bislang gar nicht für explizit politisch hielt. Ob dazu auch die Hunde aus dem neuen und bahnbrechenden Bruce-Weber-Film „A Letter To True“ zählen, ist allerdings nicht bekannt. Darin gibt der beliebte Starfotograf seinen aufmerksamen Vierbeinern in Briefform eine Lektion in amerikanischer Geschichte, was diese im Rahmen einer Vorlesung mit interessiertem Hundeblick und aufgeregtem Gebell quittieren. Auch dazu: Herzlichen Glückwunsch!

HARALD PETERS