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peter unfried über ChartsAldi? Schnauze!

Geiz ist nicht geil. Geiz ist krank. Und das Reden über „Schnäppchen“ wird hiermit per Notverordnung untersagt

Aldi? Wer hat das gesagt? Wenn jetzt hier noch einer das Wort ausspricht, dann raste ich aber aus. Total. War schon vorher schlimm genug. Aber inzwischen scheint jeder zu glauben, er könne einen vollsülzen mit seinen „Discounter“-Gruseleien. Ich habe daher meinem Amt gemäß eine Notverordnung erlassen, nach der die Wörter „Aldi“, „Schnäppchen“ usw. nicht mehr benutzt werden dürfen. Ich verbiete mir Geschichten von „Volkscomputern“ für 999 Euro („Du, mit CD-Brenner!“), von Hi-Fi-Anlagen für 79,99 Euro („Du, zweimal 30 Watt!“), von Weinen für 2,99 Euro („Du, den kann man trinken!“). Letztens stellte Name-von-der-viel-zu-gnädigen-Redaktion-geändert tatsächlich einen 2,29er Dornfelder auf den Tisch. Mich sieht der nie wieder.

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Man muss unterscheiden zwischen echtem Abstieg und gefühlter Hysterie. Ich frage jetzt immer: Bist du entlassen? (Und wenn ja: Wie hoch ist dein Übergangsgeld?) Sind dir wichtige Kunden abhanden gekommen? Ist bei dir was gestrichen? Außer die Hose voll? Die: Nein, aber! Ich: Schnauze. Die: Der Kanzler! Ich: Unser Kanzler? Die: Nein, dieser Kanzler … (folgt längeres Gestammel über die von ihnen gewählte Regierung inklusive der Begriffe „Steuerlüge“, „Rentendebakel“, „Abgabenlast“, „Wirtschaftsflaute“.) Es liegt da wohl tatsächlich einiges im Argen. Aber hey: Unser Kanzler ist der von vor der Wahl. Inhaltlich. Zugegeben: Er sieht viel schlechter aus. Aber: Nicht nur der fahle Gerd bewirbt die Baisse. Auch du bewirbst sie mit deinem Griesgramgesicht („Wer? Ich?“). Und Teile der Wirtschaft mühen sich kräftig, alles auch noch mit den Mitteln der Werbung zu manifestieren. Speziell unangenehm: Saturn mit seinem „Geiz ist geil“-Slogan. Media Markt mit „Ich bin doch nicht blöd“.

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Nichts gegen den Wunsch, die Leistung, die man bekommt, in ein gutes Verhältnis zu bringen zum Preis, den man zahlt. Aber: Zu viele denken, sie könnten sich jetzt outen. Die einen waren schon immer geizig. Mussten ihr schreckliches Leiden aber Gott sei Dank im Verborgenen pflegen, weil das gesellschaftlich geächtet war. Die anderen sind notorische Sonderangebotsjäger. Den Wert eine Ware messen sie an der Höhe der Ersparnis. „Schau mal, Thunfisch-Pizza, zwei für 1,99! Klasse, oder?“ Dann würgen sie glücklich grinsend ihre Thunfisch-Pizza runter. Obwohl sie gar keinen Thunfisch mögen. Danach fliegen sie nach Stuttgart. („Du, da spar ich 230 Euro.“) Nein, kleines Deppl: Tust du nicht. Man kann selbst dann nicht durch Geldausgeben Geld sparen, wenn man das Produkt braucht. (Und wer nach Stuttgart fliegt, zahlt sowieso immer drauf.) Hefte raus! Mitschreiben! Definition: 1. Geiz ist nicht geil. Geiz (gleich: Habgier, ein sich selbst genügendes Papiernotensammeln) ist eine Krankheit. Wer geizig ist, quält sich und alle Beteiligten. Und geil? Geil ist allenfalls, NICHT bei Saturn einzukaufen. 2. Wer wirklich nicht blöd ist, meidet den Media Markt wie die Pest, denn das ist er. 3. Wer zu Aldi geht, soll das tun. Weil er muss. Oder weil er will. Aber niemals soll er drüber reden. Das war vor Jahren. Heute ist es nicht nur uncool, es schadet auch unserem Volk.

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Okay, auch ich war lethargisch, depressiv, gleichgültig, seien wir ehrlich: ein unsozialer Sack, der zu viel über Goethes Verhältnis zu Frau von Stein reflektierte und dabei seine Eigenverantwortung vergaß. Aber letzte Woche wachte ich nachts auf und dachte: Hee, was stehen da für furchtbare Leute vor meinem Bett? FBI? CIA? Al-Qaida? FDP? Es waren aber Plus, Premiere, Lidl und der Praktiker-Markt. Sie pressten mir ihre Sonderangebote aufs Gesicht. Da schrie es aus mir: Weg mit euch! We-he-heg! Ich will euch nicht. Und schon gar nicht geschenkt.

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So habe ich mich also entschlossen, den Arsch hochzukriegen, Eigeninitiative zu übernehmen, Reformfähigkeit zu zeigen. Niemand wird mich mit Brüning vergleichen können. Ich werde Deflation und Depression bremsen, die Konjunktur beleben. Mit meinem 3-Punkte-Programm: 1. Ich verschiebe keine Anschaffungen, ich erfinde welche. 2. Ich kaufe nur noch im Fachhandel. Zahle gerne auch überhöhte Preise. Sonderangebote lehne ich ab. 3. Beim Zahlen bzw. Anschreibenlassen lächle ich. Und damit – rein in die Parfümerie. War da noch nie. Aber es muss sein. Duschgel heißt jetzt „What about Adam“. 17,95 Euro? Nur? Lieber mal zwei nehmen. Dann noch – je eine Bonus-Hi-Fi-Anlage für Büro, Schlafzimmer, Bad – siebenmal ELO, Greatest Hits – zwei Opel Zafira (Erdgas!) – vier schnurlose Telefone (Gigaset 4015, Version „Comfort“) – ein Sony-Camcorder (ab 1.049 Euro) – Espressomaschinen (Vollautomat, 1.990 Euro) für alle Räume.

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Ah, das tut gut. Dann stelle ich auch einen Blankoscheck aus „für den Staat, c/o F. Müntefering“. Kein Thema, Franz: Geht heute noch raus. Und mach dir mal keine Sorgen wegen des fehlenden Daches unserer Kita: Das kaufe ich morgen auch gleich selbst. Sicherheitshalber. Gleich nach dem Hochpreis-Brasilianer für die Hertha.

Fragen zu Charts? kolumne@taz.de

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