pechluckys tagebuch: WIE MAN SICH EINEN BESTSELLER AUS DEM NETZ FISCHT
Wer bald Geburtstag hat und so um die 30 herum altert, kann sich auf etwas gefasst machen: nämlich auf ein Buchpräsent der nostalgischen Art. Und wer enormes Glück hat, bekommt die Retro-Fibel „Generation Golf“ von Florian Illies nur einmal geschenkt. Ihm den Verkaufsschlager, uns den Partyspaß! „Weißt du noch?“ wird zur Frage des Abends, und Illies gibt sämtliche Antworten: Playmobil, Nutella, Capri-Sonne, Adidas-Turnschuhe, Nicki-Pullis, Ratzefummel und Negerkussbrötchen.
Lesen muss man den Almanach der 80er-Jahre gar nicht – blättern genügt oder ein Blick in das Register am Ende: von A wie Abba bis Z wie zum Bleistift. Klasse, das Erinnerungsvermögen des Autors!
Oder hat er einfach ausgiebig im Internet recherchiert, bevor er sich ans Zusammenschustern seiner Enzyklopädie der Markenartikel, Kindheits- und Jugenderinnerungen machte? Literarisches Online-Shopping – klick, und ab in den Warenkorb? Interaktives statt kreatives Schreiben? Kann sein. Im Cyberspace wimmelt es nämlich von 80er-Jahre-Seiten wie früher von pastellfarbenen T-Shirts in den Schulbänken. Digitalisierte Gedächtnisstützen für Illies gab es zum Beispiel in einem Forum für Dreißigjährige unter www.blackbox.net. Dort wurde eine bunte Collage aus Barbapapa, Bazooka-Kaugummis und Peter Schilling gebastelt – und bereits 1999 als Buch zusammengestellt, also noch bevor Illies zum Zug bzw. zum Golf kam. „Wickie, Slime und Paiper – Das Online-Erinnerungsalbum“, so der ehrliche Titel.
Autoren von heute brauchen eben keine eigenen Ideen mehr, sondern bloß einen Internetanschluss. Eine Klickvisite könnte Illies auch der Website www.achtziger.de abgestattet haben. Hier dreht sich ebenso alles um das „Jahrzehnt des schlechten Geschmacks“, um Karottenjeans, Ostermärsche, C 64, Dallas, Denver und Neue Deutsche Welle. Selbst wortspielerische Geniestreiche von damals wie „Ich geh kaputt, gehste mit?“ oder „Alle wollen zurück zur Natur. Nur nicht zu Fuß“ werden rezitiert. Alles auch nachzulesen bei Herrn Illies.
Was allerdings unsere Musik-Sozialisierung betrifft, da ist der Autor am Revival im Netz glatt vorbeigesurft. Denn sonst wüsste er, dass es damals außer Kajagoogoo und Dire Straits noch andere musikalische Ereignisse gegeben hat. Vermutlich entscheidendere. Stattdessen bringt er später erstaunlicherweise Golf-Cabrios, Barbourjacken und teure Türkeireisen auf einen Generationsnenner. So viel nur zum Generationskonflikt unter Gleichaltrigen.
Dafür ist die Art und Weise, wie sein Buch entstanden ist, typisch für uns – egal ob mit oder ohne Onlinenachhilfe. In Literatur, Musik, Mode und sogar im Internet – überall werden mit Leidenschaft alle möglichen Altlasten gesampelt, gemixt, montiert und zusammengeflickt. Das Ergebnis der Retromanie im Netz: ein virtueller Erinnerungskult. Bei Florian Illies: ein Bestseller.
„Verse macht man nicht mit Ideen, sondern mit Worten“ – das schlaumeierte der Dichter Mallarmé vor über hundert Jahren. Heute würde er sagen: „Bücher macht man nicht mit Ideen, sondern mit alten Einzelteilen.“ Von wegen „Generation Golf“ – „Generation Gebrauchtwagen“ oder „Generation Recycling“ müssten wir heißen! Florian Illies jedenfalls hat erfolgreich gesammelt, getrennt, wieder verwertet – und schon mindestens eine Party gerettet. Sein Verlag sollte bei der nächsten Auflage einen grünen Punkt auf den Buchdeckel drucken. Und für den Autor endlich eine Seite im Netz reservieren: www.floris-reste-rampe.de oder so. Die hätte Klicks ohne Ende.
JUTTA HEESS
PS: Bevor noch mehr Anfragen kommen: Tagebuchschreiber Thomas Pampuch ist nicht tot oder auf dem Mars. Er mach einfach eine Pause – eine kreative, wie wir doch sehr hoffen.
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