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Archiv-Artikel

patentes unwetter „Unser Mitgefühl gilt allen Betroffenen“

Berliner Geschenk verwüstet heimliche Hauptstadt

Eigentlich war sein Plan nicht schlecht: erst beschenken, dann ins Bett packen, friedlich stimmen und verwöhnen. So zumindest hatte sich Marc Beuthner die Sache mit der Wetterpatenschaft vorgestellt, als er seinem Lebensgefährten Calvin im Dezember das Tiefdruckgebiet namens „Calvann“ gekauft hat. Calvann – so lautet der Künstlername seines Partners, der lange Zeit am Theater des Westens getanzt hat und als freier Choreograf tätig war. „Ich fand die Idee witzig, ein Tief als virtuelles Geschenk, das ist einmal etwas anderes“, meint Beuthner und lacht zaghaft. Schließlich sei das Ganze ja für einen guten Zweck.

Im Grunde liegt der 35-jährige Hausverwalter damit auch geldrichtig. Der gute Zweck ist ein mit der Patenschaft verbundenes Sponsoring der Wetter- und Klimastation Berlin-Dahlem am Institut für Meteorologie an der Freien Universität, die seit letztem Jahr finanzielle Probleme hat. Zuvor hatten Studenten 24 Stunden pro Tag das Klima und Wetter beobachten können, seit März 2002 war dies nur mehr am Vormittag möglich. Über die Idee der Patenschaft versucht das traditionsreiche Institut, das seit knapp 50 Jahren auch Namen für Hoch- und Tiefdruckgebiete vergibt, die Qualität der Wettermessung zu sichern.

Mit Erfolg, wie die aktuelle Liste der vergebenen Patenschaften zeigt. Fast alle Buchstaben von Hochs und Tiefs für das Jahr 2003 sind bereits vergeben. 199 Euro für ein männliches Tief, 299 für ein weibliches Hoch – das ist der Deal. Im Jahr 2003 tragen Tiefs wieder Männernamen, zum Glück für Beuthner. „Gut, dass ich keine Freundin habe, da bin ich billiger weggekommen“, sagt er und grinst. Selbstverständlich wäre ihm für Freund Calvin auch ein Hoch nicht zu teuer gewesen.

Gelacht hatte zunächst auch der Beschenkte, Freund Calvin. „Er war sehr gerührt und hat sich gefreut“, erzählt Beuthner. Spätestens ab diesem Zeitpunkt muss die Sache jedoch schief gelaufen sein im Hause Beuthner. Plötzlich war Calvann in den Nachrichtenschlagzeilen, im Fernsehen, in den Zeitungen und im Radio: Sturmtief Calvann wütete in der Nacht zu letztem Freitag über Süddeutschland.

Eine kleine Vorahnung gab es durchaus. „Manchmal hat Calvin durchaus etwas von einem Tiefdruckgebiet an sich“, meinte Beuthner damals im Dezember mit einem zwinkernden Auge. Um schlimmere stürmische Ausbrüche von „Calvann“ zu verhindern, hatte er deshalb besagten Plan gefasst: „Ins Bett packen, friedlich stimmen und verwöhnen.“ Das Ergebnis: Calvann verschonte zwar die heimatliche Hauptstadt, tobte sich dafür im Süden aus. In München raffte es sogar den allerheiligsten städtischen Weihnachtsbaum hinweg, den die Feuerwehr in einem Noteinsatz frühzeitig abbauen musste. „Unser Mitgefühl gilt allen Betroffenen“, betont Beuthner heute. Ändern kann er leider nichts mehr, selbst wenn er wollte. „Es ist ja nur eine Namensgebung.“ Auch wenn viele Bekannte auf seinen Lebensgefährten zugekommen sind: „Calvann – das muss doch etwas mit dir zu tun haben.“

Marc Beuthners Hausratsversicherung ist zum Glück noch nicht auf ihn zugekommen. Und metaphorisch betrachtet hat die Wetterangelegenheit sogar eine gute Seite. „In jeder Beziehung gibt es ja mal Tiefs und Hochs“, philosophiert Beuthner. „Das Schöne ist, dass auf jedes Tief wieder ein Hoch folgt.“ Calvann, so sagt es die Wetterkarte des Meteorologischen Instituts, ist zumindest schon abgewandert. Weit, weit in Richtung Osten.

SUSANNE LANG