pampuchs tagebuch: Revolutionäre mit verlorener Unschuld
Kann es sein, dass das Internet eine Institution des Manifestwerdens von verlorener Unschuld und von Lächerlichkeit ist? Die Freude darüber, dass es irgendeine Idee, eine Gruppe, ein Produkt, eine Bewegung, irgendetwas Wichtiges oder Unwichtiges zur eigenen Website gebracht hat, hält sich zunehmend in Grenzen. Schrott, Dummheit, und Wichtigtuerei nehmen im Netz überhand.
Natürlich ist es praktisch, Google anzuschmeißen und sofort 30.000 Einträge zu jedem x-beliebigen Thema zu finden. Natürlich ist es toll, jederzeit von überall aus alles recherchieren zu können. Als Archiv- und Lexikonersatz ist das Netz wunderbar (wenn man sich durch den Schrott zu winden versteht).
Aber es ist natürlich auch eine Kommunikationsplattform und ein Marktplatz. Und es scheint, dass viele noch nicht mitbekommen haben, dass man sich auf diesem globalen Marktplatz auch global lächerlich machen kann. Das gilt auch für politische Bewegungen – sogar für eine Guerilla. Nehmen wir eine jener Adressen, wie man sie beim Recherchieren im Netz täglich finden kann. Wie es der Zufall und mein Interesse an dem schönen, aber geschundenen Land Kolumbien so wollte, bin ich neulich auf die offizielle Website der kolumbianischen Guerilla- Bewegung FARC-EP (revolutionäre Streitkräfte von Kolumbien – Volksheer) geraten: www.farc-ep.org/. Die FARC ist jene Truppe, die seit nunmehr 37 Jahren im kolumbianischen Dschungel für eine ziemlich traditionelle Form der Revolution kämpft, wobei sie gerade in den letzten Jahren und Jahrzehnten dies – so wird vermutet – auch mit Drogenhandel und mit Gewinn bringenden Entführungen verbindet. Derzeit sind gerade drei Deutsche, die an einem GTZ-Projekt zur Substitution von Kokaanbau arbeiteten, in der Gewalt der FARC. Das klingt nicht überwältigend modern. Doch die FARC hat sich trotz allem eine höchst professionell aufgemachte Website zugelegt. Zensurprobleme sind kaum zu befürchten. Die Guerilleros stehen in andauerndem Kontakt mit der Regierung, der Presse und der Öffentlichkeit. Sie sind eine institutionalisierte Guerilla – und das schon seit Jahren. Das, sollte man meinen, sollte sich auf ihre elektronische Kompetenz auswirken, die sie nutzen könnten, ihre Taten gebührend zu erläutern. Doch so weit geht die Modernisierung nicht. In der groß, breit und verzweigt angelegten elektronischen Selbstdarstellung – in allen Weltsprachen, einschließlich des Russischen – findet sich kein einziger Hinweis auf ihre Entführungen.
Man kann schöne Revolutionslieder hören, Kommuniqués und Grundsatzprogramme lesen, man kann – über el_caguan_uk@hotmail.com – Baseballmützen, T-Shirts und Feuerzeuge mit FARC-Emblem bestellen, man kann etwas aus dem Alltagsleben der Guerilla erfahren und wie es den Frauen bei ihnen geht („hier gibt es keinen Machismo“). Die Ausgaben des FARC-Magazins Resistencia können – sogar auf Deutsch – abonniert werden, und auch die harten Gesetze, die die FARC auf ihrem ihr von der Regierung zugestandenen Hoheitsgebiet im Süden des Landes beschlossen haben (Revolutionssteuer und Antikorruptionsmaßnahmen) sind einsehbar.
Aber kein Wort über die Geiselnahme – zu der sich die FARC übrigens offiziell bekannt haben, über die die ganze Welt spricht und über die wohl jeder, der die Seite anklickt, gern etwas aus der Sicht der Entführer erfahren würde. Nada.
Propaganda bleibt auch elektronisch aufgeblasen Propaganda. Im Netz, wo alles demokratisch nebeneinander steht, wird das nur schneller klar als anderswo. Die FARC haben schon eine Weile lang ihre Unschuld verloren. Ihre Website ist nicht nur ein Beispiel für die absurde Situation, in der sich Kolumbien befindet. Sie ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie das Netz Absurdität widerspiegeln kann.
THOMAS PAMPUCH
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