piwik no script img

pampuchs tagebuchDie Windmacher

München brummte. So sehr, dass sogar die eher zurückhaltende Süddeutsche Zeitung ihre Wochenendausgabe mit „Fahnen, Feuer, Festspiele“ bewarb. Ist aber auch wahr, wo andere gerade mal „Olli“, „Olé“ oder „Oje“ brüllen konnten, hatten die gebenedeiten Bewohner der bayerischen Landeshauptstadt beim „turbulentesten Wochenende des Jahres“ die Qual der Wahl: Neben den WM-Partys auf der Leopoldstraße standen noch fünf weitere Massengeselligkeiten auf dem weißblauen Festprogramm: Es gab (geordnet nach Kosten- und E-Kulturfaktor in absteigender Linie): Die Eröffnung der Opernfestspiele, das „Klassik Open Air“ an der Feldherrenhalle, den Beginn des Filmfestes, das Sommerspektakel „Tollwood“ und den Bayernmarkt am St. Jakobsplatz („unsere Antwort auf den Fischmarkt“), ein eher bodenständiges Gelage für jene hartgesottenen Bier- und Würstlfans, die keinen Anlass zum Saufen und Fressen brauchen.

Oje. Es macht einen fertig. Es passiert einfach zu viel, selbst in einer so kleinen Stadt wie München. Jedes Jahr dasselbe. Wer soll da noch den Überblick behalten? Wer noch die Erlebnisse und Begegnungen richtig einordnen? Wer noch alles auf die Reihe kriegen? Doch mitten in all diesem Spektakeln gibt es neue, interessante Tendenzen. Denn auch das ist von den Münchner Großspaßtagen zu melden: Kommunikation und Austausch von Mensch zu Mensch werden zeitgemäßer.

Das Internet ist dabei, neue Ebenen der Selbstdarstellung in unser aller Leben zu zaubern. Der neue Quantensprung dabei ist das bis vor kurzem weitgehend unbekannte „Wwwehen“. Das klingt schmerzhafter als es ist (der mögliche Alternativbegriff „Homepagen“ tönt dagegen fast schon nach Sadomaso). Jedenfalls habe ich allein auf dem Filmfest fünf Visitenkarten mit (mehr oder weniger) persönlicher Website bekommen. Ich glaube, eine neue Epoche kündigt sich an. Nicht nur ein @, sondern ein ganzer URL mit allem Drum und Dran kennzeichnet heute die allseitig ausgebildete Persönlichkeit: Eine globale und gleichzeitig sehr intime Neuerung im Bereich der zwischenmenschlichen Kommunikation. Immer häufiger hört man dieses „Besuchen Sie mich doch mal auf meiner Website/Homepage“. Filmproduzenten haben so etwas, freie Journalisten, Agenten und Regisseure, Maler, Fotografen und Ausstatter, Auto- und Weinhändler sowieso, Lobbyisten und Aktivisten. Eben alle, die dieser Welt etwas zu bieten haben. Alle, die nicht nur surfen, sondern selber Wind machen. Kein Wunder, dass unsereiner immer häufiger zusammenzuckt, weil er wieder mal auf eine solche Einladung hin mit leeren Händen dasteht – sitelos, homepageless, ein Obdachloser in den Weiten des Netzes. Man kann doch nicht immer nur andere Leute besuchen.

Die eigene Website ist mehr als eine Adresse. Sie ist Schaufenster, elektronische gute Stube, Curriculum Vitae und Versprechen zugleich. Sie ist der Beleg dafür, was man der Welt gegeben hat, oder geben will. Dass man mit ihr in Kontakt ist und das auch bleiben will. Dass man mitspielt. Zwar landet man, wenn man sich wirklich auf diese persönlichen Homepages begibt, häufig auf krakeligen elektronischen Baustellen. Doch es sind die Baustellen der Zukunft. Ohne eigene Website wird man bald recht alt aussehen. Die Zahl der Windmacher wird steigen. Wir alle werden uns in unseren elektronischen Stuben darstellen. Wir werden einander dort besuchen, näher kennen lernen und unsere Geschäfte machen. Wir können ja nicht immer nur Parties feiern. Die private Homepage ist für den Morgen danach. Der Ernst des Lebens liegt im Netz. Oje Olli.

THOMAS PAMPUCH

ThoPampuch@aol.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen