piwik no script img

ortstermin über einen besonderen Fussballabend des FC St. PauliAls der Präsident in der Umkleide tanzte

Das ist mal ein Public Viewing: Knapp 250 Fans des FC St. Pauli haben sich im Hamburger „Knust“ versammelt, um sich auf großer Leinwand das zehn Jahre zurückliegende legendäre Pokalspiel zwischen dem FC St. Pauli und Werder Bremen (3:1) noch einmal gemeinsam anzuschauen. Statt des Original-Fernsehtons werden launige Kommentare der ehemaligen Hamburger Spieler Fabian Boll, Timo Schulz und Hauke Brückner, die alle vor Ort sind, gereicht.

Von ihnen und Ex-Medienchef Christian Bönig, heute in gleicher Funktion bei Hannover 96 tätig, gibt es als Zugabe Anekdoten rund um das Spiel, das für den FC St. Pauli ein ganz besonderes war: Der Sieg des damaligen Drittligisten gegen den Champions-League-Teilnehmer Bremen auf schneebedecktem Platz führte die Hamburger erstmals ins Pokal-Halbfinale und sanierte den hoch verschuldeten Club auf einen Schlag.

„Wir sind schuldenfrei, wir sind schuldenfrei“, habe ein tanzender Vizepräsident nach dem Abpfiff in der Kabine gesungen, erinnert sich Hauke Brückner. Das ist eine dieser Geschichten, die das Rahmenprogramm des Abends bilden. Eine andere ist, wie Christian Bönig die gesamte Geschäftsstelle plus Merchandising-Abteilung mit Hacke und Spaten bewaffnet auf die verschneite Spielfläche beorderte, um vorzutäuschen, hier werde heftig daran gearbeitet, das Feld zu enteisen. Die Finte funktionierte, Schiri Felix Brych ließ die Partie anpfeifen trotz heftiger Proteste der Bremer, die um die Vorteile ihrer feinen Technik und die Gesundheit ihrer Spieler fürchteten.

Beides übrigens zu Recht. Auf dem glattem Spielfeld am Millerntor war mit Filigranem nichts zu holen, Nationalspieler Miroslav Klose verletzte sich noch schwer an der Schulter. So gehört an diesem Abend das Halbzeit-Doppelinterview mit dem hauptsächlich mit der Unterdrückung eines Handy-Anrufs beschäftigten FC-St.-Pauli-Präsidenten Corny Littmann und dem wie ein Rohrspatz über die ausgebliebene Spielabsage schimpfenden damaligen Werder-Manager Klaus Allofs auch zehn Jahre später zu den umjubelten Höhepunkten im Knust.

Aus Allofs Spruch „Wenn man Spaß will, kann man anpfeifen, seriöser Sport ist jedoch nicht möglich“ entsteht an diesem Erinnerungsabend im Knust eine neue Merchandising-Idee, als Hauke Brückner nach der gefühlt hundertsten Fernseheinblendung von Werder-Trainer Thomas Schaaf mit konstant versteinerter Miene fragt: „Gibt's den auch als Poster?“ Schaaf mit Merkel-Mundwinkel und darüber der Slogan „Ein bisschen Spaß muss sein!“, lautet das an diesem Abend geborene Konzept für ein Pokalsensationserinnerungs-T-Shirt. Eigentlich wollte der Neu-Hannoveraner Bönig den anderen Neu-Hannoveraner Schaaf ins Knust mitnehmen, doch das sei „eine ganz schlechte Idee gewesen“ und habe Schaafs Miene in die erneute Versteinerung getrieben.

Doch auch ohne Schaaf bejubeln die versammelten Fans jedes Hamburger Tor so enthusiastisch, als sähen sie es gerade live zum allerersten Mal. Und die anwesenden Helden von einst jubeln gleich noch einmal mit. Marco Carini

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen