orte des wissens: Festung der Information
Was im digitalen Langzeitarchiv des ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Hannover, lagert, bleibt dort für die Ewigkeit. Eine Arbeit, die jüngst erneut zertifiziert wurde
Wer früher ein Langzeitarchiv aufbauen wollte, griff zu Steinzeugtafeln, später zu Pergament oder Papyrus. Heute ist das anders, und die Lebensdauer und Nutzbarkeit moderner Speichermedien liegt, trotz ihrer Hochtechnologie, nur noch bei einem Zehntel, Hundertstel oder Tausendstel der Zeit, die die Materialien von einst überdauert haben. Fortschritt hat seinen Preis.
Ständiges Umspeichern und Aktualisieren ist also unumgänglich. Auch das digitale Langzeitarchiv des ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft in Hamburg und Kiel, mit über 4, 4 Millionen Medieneinheiten die größte wirtschaftswissenschaftliche Bibliothek der Welt, investiert in diese Pflege viel Arbeit.
Das Archiv, seit Mitte 2015 voll funktionsfähig, umfasst derzeit rund 608.000 Objekte. Es enthält nahezu alles, was das ZBW auf seinen eigenen Servern hostet. Was neu hinzukommt, landet, wenn nichts Technisches dagegenspricht, über Nacht ebenfalls dort.
„Vielen muss ich erst mal erklären, was ich hier mache“, sagt Bibliothekswissenschaftlerin Yvonne Tunnat der taz, Expertin für digitale Langzeitarchivierung an der ZBW. „Wenn es kurz sein muss, sage ich dann oft: Das ist was mit IT. Das ist natürlich schwammig. Aber sonst dächten vermutlich viele, dass ich Bücher in Regale einsortiere.“ KollegInnen gehe es ähnlich: „Bei vielen ihrer Gesprächspartner, sagen sie, werden schnell die Augen glasig, weil das Interesse schwindet.“ Tunnat sieht sich selbst „in einer Art Nerd-Nische“.
„Mein Job ist es, vernünftig aufzubewahren, was wir haben“, sagt Tunnat. „Wenn etwas technisch auffällig ist, kommt es auf meinen virtuellen Tisch.“ Wollte sie versuchen, auch nur das zu lesen, was 2024 neu ins Archiv kam, würde sie Jahrhunderte brauchen: „Ich kann also durchaus inhaltsagnostisch sein“, sagt sie. Was nicht bedeutet, dass sie nicht wirtschaftsinteressiert ist.
Jüngst hat das Archiv das Nestor-Siegel „für vertrauenswürdige digitale Langzeitarchive“ bekommen, das zweite Mal nach 2017. Mitte 2024 hatte es den Antrag gestellt, eine 34 Kriterien starke Selbsterklärung abgegeben, dann gingen GutachterInnen ans Werk. In den Hauptkriterien 1 bis 12 bekam die ZBW jeweils die erforderlichen 10 Maximal-Punkte, von der Rechtskonformität bis zu den Erhaltungsmaßnahmen. In den Kriterien 13 bis 34 kam es auf einen Durchschnitt von 9,1 Punkten. 7 hätten hier ausgereicht.
Das kann sich sehen lassen. Das zwischen der ersten und der jüngsten Nestor-Zertifizierung sieben Jahre verstrichen sind, sieht Tunnat entspannt. „Ich denke, sie in diesem Turnus zu erneuern, ist nicht zu langsam, immerhin ist das ziemlicher Aufwand.“
Das 88-seitige Einreichungsformular der ZBW bezeichnet das Ziel der Langzeitarchivierung als „darauf angelegt, die archivierten Objekte über kommende technologische Veränderungen, Cyber-Angriffe, Naturkatastrophen und Kriege hinaus verfügbar zu halten“. Eine Ewigkeits-Aufgabe.
Tunnats digitale Langzeitarchivierung ist schon öfter zertifiziert worden. 2015 bekam sie das Data Seal of Approval, 2019 das Core Trust Seal, in dem das Data Seal of Approval mittlerweile aufgegangen war. Daten sind hier also sicher aufgehoben, in störungsfreier Lesbarkeit. Die Cyberattacke einer pro-russischen Hackerbande auf die ZBW Mitte 2023 tat dem keinen Abbruch. Das Langzeitarchiv war sicher.
Ach ja: Das Archiv ist ein „dark archive“. Das hört sich nach Schwerkriminalität oder nach Geheimaufzeichnungen katholischer Folterinquisitoren an. Aber die Erklärung ist einfach: „Das bedeutet, dass nur Mitarbeitende zu ihm Zugang haben“, sagt Tunnat. „Im Dunkeln können nur wenige etwas sehen – das sind wir selbst.“ Öffentlich zugänglich sind die Archivalien natürlich trotzdem. Harff-Peter Schönherr
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