orientexpress (5) : Ein Tagebuch unseres Nahostkorrespondenten Karim El-Gawhary
Plünderer in Bagdad? Ein Fall für Sergeant Churchill
Ob sein Vorname wohl Winston lautet? Das wollte er nicht verraten, der US-Sergeant Churchill, den wir bei der Villa von Arschad Jassin trafen, als er mit seinen Männern viel zu spät dort vorfuhr. Das Haus von Saddam Husseins ehemaligem Leibwächter, der sich zum bekannten Antiquitätenschmuggler gemausert hatte, war bereits seit zwei Stunden von Plünderen heimgesucht worden. In den Nächten zuvor hatten Diebe die wertvollsten Stücke herausgepickt. Dann beschloss die Nachbarschaft, den Rest für sich zu sichern.
Vor dem Haus gleicht die Szene einem Flohmarkt. Schränke, Regale, Spiegel und luxuriöse Stehlampen warten auf ihren Abtransport, jedes Einzelstück streng bewacht vor dem Zugriff der Konkurrenz. Etwa das Babybett, gefüllt mit den Gewändern der Dame des Hauses. Ein schätzungsweise 70-jähriger Alter hält die Sprossen fest im Griff und blickt argwöhnisch in die Runde.
Im Innern der Villa macht sich eine gute Hundertschaft von Plünderern über die wenigen übrig gebliebenen Einrichtungsgegenstände her. Eine zierliche Greisin hält mit einer Hand ihre Abaja, ihren schwarzen Umhang, fest, während sie sich gegen eine massive Kommode stemmt und diese zentimeterweise in Richtung Ausgang rückt. Hilfe darf sie dabei nicht erwarten. Beim Plündern ist sich jeder selbst der Nächste.
An anderen Orten sind echte Experten am Werk, beispielsweise in einem der vier Badezimmer, in dem ein Mann zunächst eingehend die Funktionalität des WCs prüft, bevor er es fachmännisch aus der Verankerung schraubt. Im leeren Schlafzimmer schraubt ein Elektriker in aller Ruhe jede einzelne goldfarbene Steckdose ab und verstaut die Beute in einer Plastiktüte.
Im ganzen Haus riecht es nach Essig. In der Küche wird klar, warum. Ein Mann schnüffelt an Flaschen und Karaffen auf der Suche nach Alkoholischem. Enttäuscht zertrümmert er jede Flasche auf dem Küchenboden. Die Besitzer des Hauses waren offenbar dem Geschmack exquisiter Essigsorten verfallen.
Churchills Männer müssen sich mit einer Schallbombe in der Eingangshalle die Aufmerksamkeit der Plünderer verschaffen. Die Hälfte rennt daraufhin in Panik zum Ausgang. Die anderen gehen vor den amerikanischen Waffen sicherheitshalber erst mal respektvoll in die Hocke. Leider kann von dieser bemerkenswerten Szene hier kein Bild veröffentlicht werden, weil Churchill unseren Fotografen attackiert, die digitale Filmkarte aus der Kamera nimmt, um das gute 400-Dollar-Stück mit den Worten, „der Fotograf gefährdet die Sicherheit meiner Männer“, mit seinem Stiefel auf dem Fliesenboden zu zerdrücken.
Überhaupt scheinen sich Churchill und die Seinen mehr für die Journalisten als für die Plünderer zu interessieren. Während sie Letztere mit dem Hinweis „Ali Baba no good“, des Weges schicken, fordern sie uns auf, uns auszuweisen. „Beihilfe zum Diebstahl“, lautet die Anklage. Schließlich hätten wir die US-Armee rufen müssen. Auf unseren Einwand, ob wir entweder das US-Hauptquartier Centom in Katar oder den amerikanischen Notruf 911 mit unseren nicht vorhandenen Telefonen hätten anrufen sollen, hat Churchill nur ein „Halt’s Maul, ihr befindet euch in einer militärischen Situation“ übrig.
Während einer seiner Soldaten, das Maschinengewehr im Anschlag, vom Jeep aus den Ort absichert, nimmt Churchill unsere Personalien auf, um uns dann die zerschmetterte digitale Filmkarte zurückzugeben. „Journalisten ist es verboten, sich diesem militärischen Objekt zu nähern“, erklärt er abschließend.
So weit zur amerikanischen Ordnungsmacht in Bagdad. Als wir wenige Stunden später abends noch einmal an dem Haus vorbeifahren, hat sich Churchills Armee taktisch zurückgezogen. Gemächlich und ungestört sind die letzten Plünderer gerade dabei, das Holz der Fensterrahmen in die dunklen Straßen Bagdads davonzutragen. Von Churchills militärischem Objekt ist nur noch der Rohbau übrig.