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ohne stimmeDeniss Hanovs wird am 25. Februar Deutscher

Wenn am 25. Februar früh am Morgen alles mit dem Nahverkehr funktioniert, dann werde ich an dem Tag ohne Verspätung deutscher Bürger. Das Einbürgerungsverfahren war beinahe mühelos. Ich war sogar sehr überrascht, als die Einladung zur Einbürgerung gekommen ist, ein halbes Jahr, nachdem ich den Knopf „Antrag einreichen“ gedrückt habe,

Bald werde ich Mitglied der deutschen politischen Community sein. Aber als russischsprachiger Lette werde ich diese Politik auch aus einem dritten Raum, einem kulturell gemischten Erfahrungsraum meiner mehreren Identitäten beobachten – als schwuler Mann russisch-ukrainischer Herkunft, der die deutsche Kultur und Musik seit Jahren akademisch untersucht und im Alltag Deutsch als zweite Muttersprache wahrnimmt.

Ich wollte deutscher Bürger werden, weil Deutsch und deutsche Kultur seit meiner Jugend ein wichtiger Teil meiner Geschichte ist. Aber auch, weil meine erste Heimat es seit Anfang der 90er Jahre nicht geschafft hat oder nicht schaffen wollte, kulturelle Anerkennung und gleichberechtigte Teilhabe für alle ethnisch-sprachlichen Gruppen zu gewährleisten. Stattdessen betreibt die politische Elite die Rhetorik einer ethnisch und historisch geprägten Hierarchiekultur. Kyrillische Buchstaben werden im öffentlichen Raum stigmatisiert, das einzige russischsprachige Thea­ter der Hauptstadt Riga vor den Kommunalwahlen intensiv medial angriffen. Die lettischen Intellektuellen schweigen – alle. Meine erste Heimat grenzt mich als Fremdling im eigenen Land aus.

Alle diese Emotionen und Erfahrungen habe ich in Deutschland nicht gemacht. Trotzdem habe ich Angst um die deutsche Demokratie, wenn ich im Deutschlandfunk tagelang die sich rasch radikalisierende politische Debattenkultur beobachte. Umdenken des politischen Wortschatzes, wenn der politische Konsens nach 1945 global zusammengebrochen ist, fehlt. Umweltschutz, obwohl akut notwendig, zerbricht an der inneren Logik jeder radikalen gesellschaftlichen Wende. In dieser Situation wurde eine gefährliche alternative Frucht reif. Dieser Verführungsapfel ist als Hybrid aus Ängsten, Wut, Müdigkeit und Kurzsichtigkeit entstanden. Deren Saft ist Gift, deren Fruchtfleisch ist Zerstörung der demokratischen Kultur.

Und dann komme ich als neuer Bürger und bringe meine Ängste und eingebaute postso­wje­tische politische Warnsysteme mit. Aber auch ein tolles Gefühl, eine noch lebendige und lebensfähige Demokratie kritisieren zu dürfen. Eine luxuriöse Gewohnheit heute, in viele Ländern … Europas. Deniss Hanovs

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