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off-kinoFilme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Die Traditionen sind ganz und gar verschieden: Während der Animationsfilm in Amerika und Europa das Image einer bunten Unterhaltung für Kinder einfach nicht abschütteln kann, gehen die Trickkünstler in Japan mit ihren Verfilmungen der Mangas, den Comics für Erwachsene, schon seit geraumer Zeit andere Wege. Nachdem kürzlich bereits der Zeichentrick-Psycho-Thriller „Perfect Blue“ zu sehen war, hat jetzt auch „Jin-roh“, eine Geschichte um hochkomplizierte Intrigen zwischen rivalisierenden Polizeieinheiten, den Weg in unsere Kinos gefunden. Regisseur Hiroyuki Okiura, der bereits beim Publikumserfolg „Ghost in the Shell“ als Chefanimator mitarbeitete, bedient sich hier der Erzählstrategien herkömmlicher Spielfilme und entwickelt vor allem in der Ausführung der Hintergründe einen solchen Hyperrealismus, dass manchmal fast unklar erscheint, ob es sich tatsächlich noch um Zeichnungen handelt. „Jin-roh“ entwirft das Bild einer düsteren, modernen Großstadt mit außergewöhnlichen Schauplätzen: von der Kanalisation (mit Anklängen an den „Dritten Mann“) über ein Naturkundemuseum bei Nacht bis zum Rummelplatz auf dem Dach eines Wolkenkratzers. Auf den Straßen befindet sich alles in Bewegung: Menschenmassen und S-Bahnen durcheilen die Stadt, Lichtreflexe tanzen im Regen, die Spiegelungen der Hauptfiguren in den Scheiben der Straßenbahn erzittern bei Erschütterungen. Und das alles ist noch von Hand gezeichnet: eine beeindruckende animationstechnische Leistung.„Jin-roh“ (OmU) 15.11.-21.11. im Filmkunst 66œ und in den Hackeschen Höfen 5***

Sie gehörte zum lebenden Inventar von Andy Warhols Factory, wirkte in des Popkünstlers Filmen wie „Chelsea Girls“ mit und werkelte seit den 60er-Jahren an ihrer eigenen Kunst, die auch Warhol inspirierte: Polaroidfotos, „Tit-Prints“, Tapes (auf denen sie unter anderem Telefongespräche mit nichtsahnenden Verwandten und Bekannten aufnahm) und Performances. Brigid Berlin alias Brigid Polk entstammte dem konservativen amerikanischen Geldadel: Ihr Vater war der Vorstandsvorsitzende des Hearst-Konzerns, die Mutter Honey eine Gesellschaftslöwin, die auch aus der Tochter zu gern eine perfekte „feine Dame“ gemacht hätte. Doch die Tochter rebellierte: zunächst mit der Flucht in die Fettleibigkeit, später mit ihrer Kunst. Heute ist Brigid Berlin sechzig Jahre alt und stolze Besitzerin einer kitschigen Mopssammlung. Sie schwärmt von einer staubfreien, ordentlichen Wohnung und verwendet einen Großteil ihrer Energie darauf, die Nahrung genau abzuwiegen – um dann gelegentlich doch wieder der Tortenfresssucht zu verfallen. Mit „Pie in the Sky: The Brigid Berlin Story“ ist Vincent und Shelley Fremont ein ungemein lebendiges Porträt der exzentrisch-neurotischen Künstlerin gelungen: Zum einen, weil sich ihre Protagonistin noch immer auskunftsfreudig und selbstdarstellerisch-talentiert zeigt, zum anderen, weil Berlins Leben medientechnisch mit Filmen, Fernsehdokumenten, Tonbandaufnahmen und Fotos so gut dokumentiert ist.

Der Hinweis auf die Andy-Warhol-Reihe im Arsenal bietet die Gelegenheit, einen Fehler einzugestehen, der mir im vergangenen Monat unterlief: Da hatte ich Warhols Film „Henry Geldzahler“, ein 1963 mit starrer Kamera entstandenes stummes Porträt des Zigarre rauchenden Kunstmäzens, für Oktober angekündigt; tatsächlich läuft diese brillante Erweiterung unserer Sehgewohnheiten jedoch am 15. November.„Pie in the Sky: The Brigid Berlin Story“ (OmU) 20.11.; „Henry Geldzahler“ 15.11. im Arsenal***Ebenso gewöhnungsbedürftig wie genial geriet dem aus Dänemark stammenden Regisseur Benjamin Christensen sein Stummfilm „Hexen“ aus dem Jahr 1921: eine merkwürdige Mixtur aus Dokumentation, Spielszenen und spekulativem Horror, die den Hexenwahn des Mittelalters mit Krankheiten wie Hysterie und Zwangshandlungen vergleicht. Gleichrangig neben Christensens aufklärerischer Haltung steht dabei sein Talent, das finstere Mittelalter in publikumswirksamen Bildern zu präsentieren: von den Hexen, die Zaubertränke aus Kinderleichen brauen, bis zu den Folterkellern der Inquisition. „Hexen“ 17.11. im Arsenal 2

LARS PENNING

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