ötv will streiken: Schwer vermittelbar
Dieses Jahr will es die Gewerkschaft wissen: Einen Tarifvertrag ohne klare Perspektive für gleichen Lohn in Ost und West will die ÖTV für den öffentlichen Dienst nicht akzeptieren. Deshalb hat sie jetzt zum Streik aufgerufen – auch im Land Berlin, das seine Arbeiter und Angestellten längst einheitlich bezahlt.
KOMMENTARvon RALPH BOLLMANN
Dass solch ein Ansinnen schwer vermittelbar ist, weiß die ÖTV selbst. Nicht anders lässt sich die Ankündigung der Gewerkschaft verstehen, der Ausstand solle vorrangig die Bundesbehörden treffen. Gleichwohl will sie nicht ausschließen, auch landeseigene Verkehrs- und Versorgungsbetriebe lahm zu legen.
Wenn die ÖTV das Land Berlin auffällig vom Streik ausnimmt, so fürchtet sie offenbar, damit könnte sie die bundesweite Aufmerksamkeit erst recht auf die Hauptstadt lenken. Und das wäre für die Gewerkschaft schlecht. Denn längst ist klar, dass sich der verarmte Stadtstaat das Wahlgeschenk der Lohnangleichung eigentlich nicht leisten konnte.
Natürlich hatte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) damals Recht: Wenn Beschäftigte aus Ost und West so eng zusammen arbeiten wie in Berlin (übrigens auch bei den Bundesbehörden), dann lassen sich unterschiedliche Gehälter kaum noch rechtfertigen. Doch er verschwieg die andere Seite der Medaille: Solidarität bedeutet eben auch, dass die Gewerkschaften zu Gegenleistungen bereit sind.
Das gilt in besonderem Maße für Berlin und die neuen Länder. Denn überall dort, wo Arbeitsplätze Mangelware sind, ist die Unkündbarkeit im öffentlichen Dienst ein besonderes Privileg. Hinzu kommt, dass sich Berlin wie die übrigen Ost-Länder noch immer einen – im Vergleich zum Westen – übergroßen öffentlichen Dienst leistet. Wo die Finanznot am größten ist, im Kulturbereich, hat die Debatte über Solidaropfer der Beschäftigten schon begonnen. Wann sie in den anderen Bereichen kommt, ist angesichts der desolaten Haushaltslage nur eine Frage der Zeit. Die ÖTV muss aufpassen, dass sie solche Vorschläge nicht ungewollt befördert.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen