o trunkenheitsfahrt, o giftfestigkeit! :
von WIGLAF DROSTE
Es war 1990 in Frankfurt am Main. Titanic-Zeichner Achim Greser hatte soeben wieder einmal einem Wirt zu erklären versucht, dass Worte wie „letzte Bestellung“ und „Sperrstunde“ aus der deutschen Sprachgemeinschaft ausgeschlossen werden müssten, und zwar auf der Stelle. Wie immer waren Gresers Ausführungen gleichermaßen rhetorisch brillant wie erfolglos, und so machten wir uns mit seinem alten, klapprigen Damenrad auf die edle Suche nach weiterem Getränk. Ich fuhr, Greser saß auf dem Gepäckträger. Es ging eine dieser elenden Frankfurter Landstraßen entlang, ich ächzte bergan, und plötzlich schepperte es: Ein Auto rammte uns von hinten, Greser purzelte rücklings, boingte in den Kühler des Wagens hinein und knallte auf die Straße. Ich stieg über den Lenker ab und landete nach einem kurzen artistischen Freiflug auf dem Knie.
Ich schaute mich um. Greser, ein Freund der Sandale, war seines Schuhwerks verlustig gegangen und krauchte strumpfsockig auf der Straße herum. Er suchte seine Brille, ein Glasbausteingerät von Schnitzlerschen Ausmaßen mit zirka tausend Dioptrin. Mein Knie war aufgeschlagen und blutig. Hinter uns stand eine Zuhälterkutsche, ein roter Ford Mustang. Ein Mann und eine Frau, die beide zu dem Auto passten, stiegen aus. Beide hatten eine Taschenlampe in der Hand und leuchteten den Wagen nach eventuellen Kratzern ab. Uns würdigten sie keines Blickes. Wir hätten tot sein können, ihnen war das Wurscht. Nur die Schaumacherkarre zählte; zwei Fahradfahrerleben bedeuteten allenfalls Scherereien.
Die Frau wurde fündig. „Die ham uns eine Beule in den Kühler gemacht!“, kreischte sie los. Mir reichte es. Erbittert über das Ausmaß an menschlicher Niedertracht und Verkommenheit gebot ich ihr, die Klappe zu halten, und fügte, wie Funny van Dannen singt, „ein anderes Wort für Scheide“ hinzu. Das war nicht klug – gab es doch ihrem Begleiter die willkommene Gelegenheit, seinem Ärger Luft zu machen. „Was hast du gesagt?“, schrie er, stürmte auf mich zu, wobei er ein Klappmesser zog und die Klinge aufschnappen ließ. Er riss mich hoch, rupfte mir dabei das Hemd aus der Hose und hielt mir den kalten Stahl an den Bauch.
Ich spürte die Klinge, die mir wie ein Schwert erschien, quasi schon in meinen Eingeweiden wühlen. „Nichts“, log ich doof. „Ich habe nichts gesagt.“ Der Mann schien wenig überzeugt und fragte abermals: „Was hast du gesagt?“ Ich blieb bei meiner Lüge, er ließ von mir ab, ging zu seinem Wagen zurück und telefonierte. In Nullkommanichts kreuzten die Mehlmützen auf.
So kamen wir vom Rotlicht- ins Blaulichtmilieu. Auf der Wache zapften die Petermänner uns Blut ab und hackten das schöne Wort „Trunkenheitsfahrt“ in ihre Schreibmaschine. Dass der Schock uns wieder hatte nüchtern werden lassen, wurde zu unseren Ungunsten ausgelegt: Im Protokoll war von „erhöhter Giftfestigkeit“ die Rede. Was für ein Fest, das Giftfest: Schmeißt mich ins Säurebad, spritzt mir Heroin aus der Familienpackung, egal, ich bin giftfest. Für immer, da hat Achim Greser Recht, seien die letzte Runde und die Sperrstunde vom Erdball verbannt. An ihre Stelle aber sollen treten die Giftfestigkeit und die Trunkenheitsfahrt auf dem Damenrad.
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