normalzeit : Helmut Höge über alte Birnen
Die Zwinglikirche gleich hinter Narva war das erste elektrisch illuminierte Gotteshaus in Berlin
Das zu Friedrichshain gehörende Karree zwischen Oberbaumbrücke und Osthafen, Stralauer Allee und Markgrafendamm sowie der S-Bahn-Trasse und dem Endbahnhof der U 1 an der Warschauer Brücke hat viele Namen: Quartier am Osthafen, Rudolf-Viertel, BGW-Kiez, Narva-City, Oberbaum-City. Und nun auch noch „Upper East Side“. Dabei ist es ein ganz normaler Ost-Block: mit vielen geschlossenen Läden und noch mehr leeren Büroflächen.
Als das Glühlampenwerk 1992 von der Treuhand gewissermaßen versenkt wurde und 5.000 Narva-Beschäftigte ihren Arbeitsplatz „im Licht“ verloren, zogen viele, die rund um den Rudolfplatz wohnten, weg. Auf einem Großteil der Betriebsstätten wächst heute Gras.
Schon als dort noch Osram produzierte, hatten sich einige Arbeiter aus diesem Kiez still verabschiedet – in die Sowjetunion, wo sie unter Mitnahme von Produktionsmitteln in einem nach Osram-Vorlagen errichteten sozialistischen Werk arbeiteten: im Moskauer Elektrosawod. Hier – im Osram-Stammbetrieb an der Warschauer Brücke – wurden dafür ab 1942 russische Zwangsarbeiterinnen eingesetzt. Und wegen dieser „Kriegsproduktion“ verstaatlichte die Rote Armee dann das Glühlampenwerk 1946. Außerdem befahl sie umgekehrt zahlreiche Osram-Mitarbeiter zum Arbeitseinsatz in die Sowjetunion. Diese bekamen dort allerdings üppigere Essensrationen als die Sowjetbürger selbst. Im „Traditionskabinett“ des VEB Berliner Glühlampenwerk Narva ehrte man unterdessen die vor den Nazis in die UdSSR geflüchteten Osram-Genossen.
Dieser ganzen verwickelten Geschichte ist zurzeit eine Ausstellung in der desakralisierten Zwinglikirche gleich hinter Narva gewidmet. Diese Kirche war das erste elektrisch illuminierte Gotteshaus in Berlin – was wiederum eine der ersten Werbemaßnahmen von Osram war. Im Jahr der Ermordung Rosa Luxemburgs („Lux“ = Licht) errichtete der Konzern außerdem an der Hochbahn seinen „Lichtturm“, wo die Glühbirnen auf ihre Lebensdauer geprüft wurden: Keine durfte länger als 1.000 Stunden brennen! Nur einer einzigen gelang es, den Prüfern zu entkommen – und schier unsterblich zu werden (sie brennt noch heute: in der Feuerwehrwache von Livermore/Kalifornien).
Zu DDR-Zeiten gab es ebenfalls eine Lampenprüfstelle – im „Narva-Lichtturm“. Das Werk stellte daneben aber auch – ressourcenschonend – „Langlebensdauerglühlampen“ her. Die „normalen“ dienten eher der Devisenbeschaffung: Sie waren unter anderem für Osram bestimmt – und wurden auch unter dessen Label verkauft. Da war die DDR jedoch schon fast am Ende.
Die Anfänge waren heroischer: Da räumten die heimgekehrten Arbeiter erst mal den Schutt weg. Gerade um Osram herum hatten kurz zuvor schwere Kämpfe stattgefunden. Den Glühlampenwerkern ließ Generalmajor Alexander Kotikow extra Suppenrationen zukommen („Befehl 234“). Als es an Tellern fehlte, besorgte er angeblich sofort welche aus dem „sowjetischen GULag“. Sie sind jedenfalls heute noch als „Kotikow-Teller“ in guter Erinnerung – und in der Zwinglikirche ausgestellt. Dort hängt auch ein Ölporträt einer der ersten Narva-Brigadierinnen. In dem Frauenbetrieb wurden ganze Spielfilme gedreht, die nun neben Diskussionen jeden Sonntag ab 18 Uhr im Gemeindesaal der Kirche gezeigt werden.
Heute arbeitet als Einziger nur noch der erste und letzte Betriebsratsvorsitzende Michael Müller auf dem Narva-Gelände – als Hausmeister. In den „Lichtturm“ zog stolz das deutsche New-Economy-Vorzeigeunternehmen Pixelpark. Nachdem diese Blase geplatzt war, übernahm die BASF den (inzwischen verschandelten) Turm.
Kurator der vom Bezirksmuseum und dem Verein „KulturRaum Zwinglikirche“ ausgerichteten Ausstellung über die „Upper East Side“ ist der WDR-Regisseur und Medienprofessor Martin Wiebel. Er bekam nach der Wende sein verstaatlichtes Haus im Rudolfviertel wieder, das vor 100 Jahren – wie die ganze „Oberbaum-City“ – von seinem Urgroßvater Maximilian Koch hochgezogen worden war. Koch war Besitzer einer Ziegelei in Schöneiche, der Bruder Architekt. So kam eins zum anderen. Sein Urenkel Wiebel veranstaltet jetzt jeden Sonntag Führungen durch „Max Kochs Revier“, wo von Osram-Narva allerdings nur noch die Kneipe Zur Glühlampe und Michael Müller zeugen. Dieser wird dann auch im Gemeindesaal Rede und Antwort stehen: am 2. März.
Die Ausstellung läuft bis zum 6. April