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normalzeitHELMUT HÖGE über die Wunschpolitik

Bei Sex & Drugs & Rock ’n’ Roll

Michel Foucault meinte einmal, die Prostituierten seien Experten für männliche Sexualität – sie müsse man befragen. Meistens werden ja die Prostituierten nur über sich ausgefragt. Des ungeachtet scheint Foucault Unrecht zu haben: Die Prostituierten haben keine Ahnung! Stereotyp meinen alle, die Männer würden bei ihnen meistens das wollen, was sie von ihren Ehefrauen nicht bekämen – und diese sollten sich deswegen mehr einfallen lassen. Ich befragte neulich umgekehrt einige Freier dazu.

Anlass war ein Gespräch zu meiner Linken an einer Bar, das ein etwa Fünfzigjähriger Geschäftsmann mit einer russischen Prostituierten führte, das heißt, die meiste Zeit redete er – und zwar über die abnormen Hotelpreise an der Ostsee bis hin zu den ebenso unverschämten Restaurantrechnungen. Zur gleichen Zeit schwallte zu meiner Rechten ein etwa gleich alter Mann auf eine brasilianische Prostituierte ein, der er die Vorzüge einer Gangschaltung gegenüber Automatik klar machen wollte – „besonders im Winter“. Wenig später ging ein anderer Mann mit der Brasilianerin aufs Zimmer. Anschließend erfuhr ich von diesem, dass er sie jede Woche „besuche“ – sie hätte so eine lustige Art, die ihn komplett an seine frühere Freundin erinnere, „Brasilien hin oder her“. Wenig später erzählte mir ein anderer Freier, er würde oft und gerne mit den am wenigsten attraktivsten Frauen aufs Zimmer gehen, solche, die schon älter seien und Kinder hätten. Die seien „die Zärtlichsten und Nettesten – mit Ausnahmen natürlich“. Noch weiter ging dann ein Heizungsmonteur, der meinte: „Eigentlich mag ich alle Prostituierten; sie sind etwas Besonderes. Leider kann ich sie mir nur selten leisten“. Ähnliches behauptete auch ein BVG-Angestellter, nachdem er eine „besonders große Thailänderin in Neukölln“ kennen gelernt hatte: „Sie war so toll, ich wollte nur zu ihr, aber als sie plötzlich verschwand, merkte ich, dass mir alle anderen genauso gut gefielen – jedesmal auf eine andere Weise.“

Von einer Gruppe ehemaliger Schuhfachverkäuferinnen, die jetzt als Arbeitslose noch nebenbei anschaffen gehen, weiß ich, dass sie einen großen stabilen Kundenstamm bedienen, meist Akademiker, die „auf Mütterlichkeit“ stehen. Ähnliche Wünsche haben auch die Stammkunden eines Weddinger Bordells mit älteren Frauen, die laut ihrer Annonce „auf Küssen stehen“, was die Frauen damit begründen, dass für die meisten ihrer Freier „das Ficken nicht mehr so wichtig ist, die lecken lieber . . . Mein Gott, sollen sie! Der Rest ist normaler Handbetrieb“. Dieser macht für eine Gruppe ebenfalls schon älterer Frauen in einem Bordell am Halleschen Tor sogar die Haupteinnahmequelle aus, weswegen ihre Wohnung schon fast wie eine Arztpraxis eingerichtet ist, in der die Frauen als Masseure herumlaufen – und auch die selbe Berufseinstellung hegen. Hier haben sich anscheinend Nachfrager und Anbieter in ihren Wünschen aufeinander eingespielt. In Summa kann man vielleicht sagen, dass die männliche Sexualität, so wie sie den Prostituierten entgegentritt, nicht auf einem realen Mangel beruht, sondern unter einem Überfluss (an Bildern) leidet – dem die Prostituierten vorübergehend Abhilfe verschaffen. So gesehen ist der „schwedische Weg“, nicht die Prostitution zu deregulieren (liberalisieren), sondern umgekehrt die Freier aus dem Verkehr zu ziehen, die interessantere „Lösung“ – des feministischen Problems, den Körper zu verkaufen. Aber auch die weitaus schwierigere. Ähnlich sehe ich das nebenbei bemerkt bei der Legalisierung des Rauschgifts, speziell des Haschisch. Die Liberalisierung der Musik, angefangen mit dem Rock ’n’ Roll, hat bereits zu einem derartig akustischen Overkill – durch Großkonzerne, ganze Channels usw. – geführt, dass man unwillkürlich wieder die Stille preist.

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