normalzeit: HELMUT HÖGE über den ganz nahen Osten
Die Generation Sarah
Der Wiener OSZE-Medienbeauftragte Freimut Duve veranstaltete in Berlin eine Diskussion über die Situation der Schriftsteller in arabischen Ländern – zusammen mit den drei im Exil lebenden Autoren Aftab Husain (Pakistan), Nasr Abu-Zayd (Ägypten) und Bahman Nirumand (Iran). Das Haus der Kulturen der Welt befürchtete eine Anti-Amerikanismus-Veranstaltung, sodass Duve in den Saal der Heinrich-Böll-Stiftung ausweichen musste. Bei einer dreitätigen Pro-Israel-Tagung hegten dagegen die Veranstalter selbst Befürchtungen, sodass sie Ordner mit Metalldetektoren anheuerten und sogar zwei Einsatzwagen mit Polizisten draußen parkten. Diese wollten sich dann aber nicht dazu äußern, ob sie die linken „Antideutschen“ im Audimax der Humboldt-Uni schützten oder die Tagungsvilla der rechten Siemens-Stiftung schräg gegenüber.
Das vorwiegend studentische Publikum der Anti-Deutschen war zu einer Zeit benamt worden, da die Eltern meinten, ihre eigenen Eltern noch zu guter Letzt wenigstens damit zu schocken, dass sie deren Enkel jüdische Vornamen gaben. Und diese sind es heute, die immer wieder beim jüdischen Kulturverein anfragen, wie sie richtige Juden werden können. Die Anti-Deutschen sind politisch heterogen, doch im Audimax gab es eine Rückbesinnung auf links- bzw. rätekommunistische Positionen – zum Beispiel bei der Analyse der Sowjetunion. Da alle gedanklichen Anstrengungen dem Dualismus Deutsche-Juden unterworfen wurden, war dabei zum Beispiel von „antisemitischer Produktionsweise“ die Rede – die im Endeffekt daraus resultiere, dass „Ausbeutung eben mit den Mitteln der Herrschaft nicht abzuschaffen“ sei. Eine Wiener Genossin begann ihr Referat mit dem Satz „Ich bin Linke und Jüdin – sogar Zionistin“. In Unkenntnis der Geschichte der Arbeiterbewegung war das für sie fast ein Oxymoron (so wie „Ich bin Kommunist und stolz darauf, Deutscher zu sein“). Dabei ist das Schicksal, Linke und Jüdin zu sein, eher ein Pleonamus – so wie weißer Schimmel. Die Argumentation anderer Redner bremste die Wienerin mit der Gretchenfrage aus: Wie hältst du es mit Israel?
Aus dem Publikum wurde daraufhin die Benjamin-Scholem-Debatte und der Engel der Geschichte bemüht. Überhaupt bewies der Saal eine Engelsgeduld an diesem Wochenende. Als die aktionistische Krankenschwester Angelika im Foyer einmal etwas laut wurde, liefen gleich zehn Ordner herbei. In den Pausen sprachen die Teilnehmer Sätze wie „Du, jetzt kann ich grad nicht kommunizieren“ leise in ihr Handy. In der Debatte über „Zionismus und Kommunismus“ gab eine junge Frau zu bedenken: „Das ist mir egal, es geht darum, wie die Menschen angstfrei leben können!“ Immer wieder kam man dabei auf den antijüdischen Kampf der Palästinenser zu sprechen. Deren gerechter Kleinkrieg gegen die israelischen Besatzer blieb jedoch unterbelichtet – um der Radikalität der Parole „Pro-Israel und Anti-Deutsch“ willen. Ihre Verfechter begriffen sich damit trotz vollem Saal als gefährdet und minoritär, „während (draußen) israelisches Handeln als Machtpolitik ‚enttarnt‘ wird, billigt mensch den palästinensischen (Selbst-)Mordkommandos mildernde Umstände zu“, heißt es im von den Anti-Deutschen zusammengestellten Autonomen-Info „Interim“, die diesmal den Umschlag gar mit einer Israel-Fahne zierten. Während die eine Veranstaltung zu seicht über Demokratie und Medienfreiheit stritt, vergrößerte die andere trotz analytischem Tiefsinn die Verwirrung, dazu war sie noch eher konsequent als radikal. Walter Benjamin hat demgegenüber einmal die Parole aufgestellt: „Immer radikal – niemals konsequent!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen