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normalzeitHELMUT HÖGE über Souvenirkultur

Aroma-Golems und Bierbänkchen

Im ersten Anlauf verbessern die Touristen das soziale Klima einer Stadt, indem sie mit ihrer naiv-positiven Grundstimmung die einheimischen Dienstleister zur guten Laune zwingen und mit ihrer Harmlosigkeit selbst beinharte Bullen dazu bringen, sich cool zu geben. Aber dann versauen sie alles: Je mehr Touristen kommen, desto mehr Einheimische wollen von ihnen profitieren. All diese Getränkeverkäufer, Chauffeure und Souvenirhändler wirken zunächst ganz harmlos: die türkischen Stände mit ihrem unerschöpflichen Vorrat an farbigen „Mauerstückchen“ und Rote-Armee-Mützen; die Stadtführer mit immer geheimeren Kiezecken und konservierter Bausubstanz.

In Prag entdeckte ich an der alten Synagoge Händler, die „Aroma-Golems“ als Kerzen und bärtige Rabbiner als Marionettenpuppen verkauften, zwei Ecken weiter gab es für Katholiken den Papst zum Aufziehen und die Kurie als Schachspiel. Dazu Aufkleber mit dem Spruch „Sag Ja zu Jesus“ in allen Sprachen. Für die Mittelalterfans boten die Souvenirstände ganze Ritterrüstungen, Schwerter und sogar Nilpferdpeitschen an.

In Moskau vermarkten sie jetzt die heroischen Perioden der Sowjetunion – das reicht von Kaffeehaferln mit Stalin- und Lenin-Porträts bis zu Fußmatten und Gobelins mit Hammer und Sichel sowie Puschkin als Punchingball. Und ehemalige KGBler machen noch jeden Touristen zum Dissidenten und erstellen ihm ein „ganz persönliches Kompromat“.

Noch peinlicher ist der Souvenirladen des Museums am Checkpoint Charlie, wo man ganze Mauer-Envirements mit abwaschbaren Grenzpolizei-Puppen inklusive aller Schikanen anbietet. Nur ganz schlichte Menschen können da noch von Erinnerungskultur sprechen. Auf Kuba gibt es Ché Guevara als Muschelklebebild, auf Wandtellern, Münzen, Flaschen und als Schutzpatron für Taxifahrer. In Emden ist der zentrale Souvenirladen das „Otto-Huus“, wo die Nordseetouristen sich mit Otto-Waalkes-Paraphernalien eindecken können. Und so wie Wittenberg die „Lutherstadt“ ist, erklärte sich Leimen zur „Boris-Becker-Großgemeinde“. Dazu gibt es bedruckte T-Shirts in allen Größen und Farben.

Am raffiniertesten haben die japanischen Touristen ihr Souvenirproblem in Heidelberg gelöst: sie wohnen dort in japanischen Hotels, essen in japanischen Restaurants und kaufen in japanischen Andenkenläden Heidelberg-Erinnerungsstücke, die in Japan hergestellt wurden. Auf diese Weise haben sie den leidigen Devisenabfluss bei Auslandsaufenthalten vermieden.

Die auf Touristen immer scharfe Gastronomie stellt sich nach und nach auf einen globalen Durchschnittsgeschmack ein – „internationale Küche“ genannt, wobei die Hauptarbeit bei der Gestaltung der vielsprachigen Speisekarte liegt. Freunde versichern mir, dass die russischen Übersetzungen der „typisch böhmischen Küche“ sich fantastisch geschmackvoll anhören. Aber auch hier werden aus schnöden Aldi-Karotten immer öfter „Gascogne-Möhrchen“.

Das Restaurant Mao-Thai in Prenzlauer Berg beschäftigt mittlerweile einen eigenen Wassermelonenschnitzer – übrigens aus Oberbayern –, der bis zur „Maueröffnung“ am Potsdamer Platz „Berliner Luft“ in Dosen verkaufte. Die Abschaffung der Braunkohleöfen in den Mietshäusern hat ihm dann das Geschäft versaut. Jetzt möchte er die „Wawetschkas“ vermarkten, die in Berlin fast nur von Bier trinkenden Polen genutzt werden. „Wawetschka“ heißt zu Deutsch „Bierbänkchen“. So verwandelt sich nach und nach die ganze „Authentizität“ in Schlüsselanhänger, Witzpostkarten, Bunte Bärchen und Bohemia Krystal.

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