piwik no script img

neue filme Die Gefangene

F/B 2002, Regie: Chantal Akerman; mit Sylvie Testud, Stanislas Merhar u. a.; 118 Min.

Chantal Akerman hat von der „Gefangenen“, dem fünften Teil des Proust-Romans „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ nur noch ein narratives Skelett übrig gelassen, genug, um Prousts Motiv einer unmöglichen Liebe, gezeichnet von Entfremdung und Verlustängsten, eine allgemeine Gültigkeit zu verleihen. Akermans ernsthafte Konzentration auf diesen Krisenherd der Zwischenmenschlichkeit macht ihre Verfilmung zu einem perfekt klaustrophobischen Kammerdrama. Sie hat Prousts Figuren aus dem gesellschaftlichen Leben herausgelöst und in einen gläsernen Käfig gesetzt. In dem Zustand der Hermetik bekommen Akermans Bilder eine fast analytische Klarheit. Sehr unterkühlt ist ihr Ton, sehr gekünstelt das Ambiente; im Raster ihrer Kinematographie – den fließenden Langeinstellungen, den unscharfen Hell-dunkel-Kontrastierungen – entwickelt dieser Manierismus eine beklemmende Unerbittlichkeit. Schon die Eröffnungssequenz ist eine klassische „Vertigo“-Szene. Ein Mann, Simon, verfolgt in seinem Wagen eine Frau, Ariane, durch Paris, vergewissert sich ihres Tagesablaufs und ihrer Anwesenheit; erst viel später führt sie ihr Weg wieder zusammen: in seinem Apartment. Jede schützende Geste ist eine Vereinnahmung, jeder Kuss ein Knebel. Und bereitwillig lässt sich Ariane auf seine Kontrollavancen ein, in dem Wissen, dass er ihr Innerstes nie in Besitz nehmen wird. Ariane hat sich in Simons Liebesgefängnis eine autonome Zone geschaffen, zu der ihm der Zugang verwehrt bleibt. Und Simon weiß von diesem unergründlichen Ort. Was sie ihm beizubringen verursucht, ist, dass nur diese letzten Geheimnisse zwischen Menschen noch die Grundlage einer Liebe sein können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen