neue bücher aus japan: Der blasse Held und sein grauer Alltag
„Tanz mit dem Schafsmann“ und „Untergrundkrieg“ von Haruki Murakami
Er ist um die dreißig Jahre alt, erfolgreich im Beruf, er hat keine finanziellen Sorgen und eine schöne Wohnung. Er ist einsam, aber nicht zu sehr, der typische Großstadtheld in Haruki Murakamis Romanen: ein Mann ohne Eigenschaften. Und dann passiert es ihm plötzlich. Nicht dass es etwas Schicksalhaftes wäre, nein, es ist etwas, was jedem passieren könnte.
Haruki Murakamis in Japan vor vierzehn Jahren verlegter Roman „Tanz mit dem Schafsmann“ (Dumont Verlag 2002, 461 Seiten, 24,90 Euro), der gerade auf Deutsch erschienen ist, dreht sich um einen solchen blassen Helden. In seinem Fall ist es ein Traum, der ihn zwingt, in ein Hotel zu fahren, wo er vor Jahren einmal übernachtet hat. Was es genau ist, das er dort sucht, wird nicht klar. Ist es seine damalige Geliebte, die ihn verlassen hat? Oder sucht er nach einem Ausgang aus seinem routinierten Leben? Seinen Job als Restaurantkritiker jedenfalls empfindet er als sinnloses Schneeschaufeln.
In „Tanz mit dem Schafsmann“ hat Haruki Murakami schon kurz nach seinem Durchbruch in Japan alle Motive und Techniken aufgerollt, die seine späteren Romane ausmachen: Es gibt das sehr junge, sehr schöne Mädchen, das für sein Alter ganz erstaunliche Dinge weiß, und die rätselhafte Frau, die sich so sehr entzieht, dass sie immer unwirklicher wird. Dem unscheinbaren Durchschnittstyp fällt nichts mehr ein zu großen Worten wie Glaube, Liebe und Hoffnung. Stattdessen hängt er sich an kleine Alltagsrituale wie das Kochen.
Die Kritik an der japanischen Gesellschaft, dass sie den Menschen aufs Schneeschaufeln reduziert, die Aufmerksamkeit Haruki Murakamis für das, was passiert, wenn er darauf keine Lust mehr hat – das ist auch der Motor seines ersten Sachbuchs, das man ebenso gebannt liest wie seine Romane. „Untergrundkrieg“ (Dumont Verlag 2002, 400 Seiten,18 Euro) versammelt Protokolle von Gesprächen mit Opfern des Giftgasanschlags in der U-Bahn von Tokio im Jahr 1995. Die damals in den betroffenen U-Bahnen saßen, erfährt man, leiden noch heute darunter, nicht vermitteln zu können, was dieser Anschlag bei ihnen bewirkt hat: „Von außen betrachtet, sehe ich ganz normal aus, deshalb verstehen die Leute meinen Zustand nicht“, erzählt der Angestellte eines Autohändlers.
Interessanter noch als die Gespräche mit den Opfern sind im zweiten Teil des Buches die Gespräche mit Angehörigen der Sekte Aum Shinrikyo, deren Führer für diesen Anschlag verantwortlich sind. Murakamis Interesse gilt besonders den Tätern, die einer gesellschaftlichen Elite angehörten. Seine These ist, dass bei Menschen, die immer stärker gesellschaftlich funktionalisiert werden, auch das Bedürfnis wächst, dieser Funktionalisierung zu entsagen. Murakamis Fazit: „Das Problem ist, dass es in unserer Gesellschaft kein Netz gibt, das diese Menschen auffängt.“ SM
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