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Archiv-Artikel

nebensachen aus warschau Inakzeptabel: Polnische Meerjungfrau Syrenka mit allzu knapper Oberweite

„Die Brust ist zu klein“, unterbrach eine Ratsherrin in Ustka lautstark die sich dröge hinziehende Sitzung des Stadtrats. „Was?“, rieben sich die plötzlich wieder erwachten männlichen Kollegen die Augen. „Was für eine Brust?“ Vierzehn Augenpaare richteten sich auf die Oberweite der Ratsherrin. Die aber reckte stumm den Arm und deutete auf das Stadtwappen über dem Kopf des Bürgermeisters. Und nun sahen es alle: Die Syrenka, die geliebte Meerjungfrau der polnischen Küstenstadt, hatte gar keinen Busen. Die Ratsherren schrien voller Entsetzen auf. Damit wollten und konnten sie sich nicht abfinden: Eine Meerjungfrau ohne Busen! Wo käme man denn da hin? Was sollte die Welt von Ustka denken? Fieberhaft malten sie Busen um Busen. Sie setzten sich mit dem Amt für Heraldik und Denkmalschützern in Verbindung. Das Stadtwappen von Ustka brauchte dringend eine Brustvergrößerung.

Die Nachricht von der busenlosen Syrenka erreichte schnell die Hauptstadt Polens, wo die Ratsherren umgehend eine Krisensitzung einberiefen. Denn auch Warschau hat eine Meerjungfrau im Stadtwappen, deren Busen begutachtet wurde: fachmännisch, schweigend, sich räuspernd. „Nicht gerade sexy“, grummelte schließlich einer der Anwesenden. „Leicht hängend“, murmelte anderer seufzend. Was tun? Die Warschauer Syrenka hing in Tausenden von Amtszimmern, prangte auf sämtlichen Dokumenten, fuhr auf Bussen und Straßenbahnen durch die ganze Stadt. Eine Brustvergrößerung käme ziemlich teuer. Die Denkmäler würde man nicht antasten. Da war man sich schnell einig. Doch das Wappen, das konnte so nicht bleiben. Da mussten Spezialisten ran. Jeder Millimeter zählte. Im Budget wurden 20.000 Zloty für die Veränderung angesetzt.

Doch damit nicht genug. Warschau brauchte ein neues Logo. Mit dieser Edel-Syrenka, die einen Säbel über ihrem Kopf schwang und Angreifer mit einem Schild zurückdrängte, war kein Tourist in die Stadt zu locken. Da waren sich die Ratsherren sicher. Also machten sie noch mal 195.000 Zloty locker. Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben. „Verlieb dich in Warschau“ stand schon als Slogan fest. Künstler und Designer sollten nun das passende Werbelogo für Polens Hauptstadt finden.

Doch als den Warschauern nach Monaten die sexy Meerjungfrau präsentiert wurde, ging ein Aufschrei durch die Stadt. Entsetzt wandten insbesondere Rentner die Augen ab: „Unanständig ist das! Dieser Busen! So eine Schande!“ Auf der Straße, in Supermärkten, Bussen und Straßenbahnen gab es nur noch ein Thema: Busen und Nabel der neuen Syrenka. Radio und Fernsehen nahmen Sondersendungen ins Programm. Ein leidgeprüfter Hörer klagte: „Diese Syrenka schwingt ein Nudelholz und eine Bratpfanne! Damit lockt man doch keine Touristen nach Warschau.“ Ein anderer erkannte in dem leicht abstrakten Schutzschild eine gigantische Tomate, die sich die Meerjungfrau unter den Arm geklemmt hätte. Der Oberbürgermeister, der nicht unbedingt als Frauenheld gilt, zog es vor, öffentlich zu schweigen: „Kein Kommentar!“ sagte er dem größten Boulevardblatt des Landes. Einzig die Studenten scheinen die neue Warschauer Syrenka zu mögen. Das Denkmal auf dem Marktplatz in der Altstadt trägt jedenfalls immer mal wieder einen knallroten Wonderbra. GABRIELE LESSER