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Archiv-Artikel

nebensachen aus warschau Der polnische Test auf Herz und Nieren – oder wie ich die Polen wirklich verstehe

Smalltalk mit Polen ist eine hohe Kunst. Mit „La Pologne? La Pologne? Schrecklich kalt dort, nicht wahr?“, sollten Sie jedenfalls kein unverbindliches Geplänkel beginnen. Polen ist zwar in den letzten 200 Jahren immer wieder von der Landkarte verschwunden und an anderer Stelle wiederaufgetaucht, aber nie hinter dem Ural. Die Eisbärenregion liegt eindeutig weiter östlich.

Wislawa Szymborska, Polens Literaturnobelpreisträgerin, regte sich so über die Unkenntnis ihrer Tischnachbarin auf, dass sie dieses Smalltalk-Debakel sogar in einem Gedicht verewigte.

Doch jetzt ist Hilfe in Sicht. Seit kurzem gibt es einen Polen-Knigge. Auf diese Idee kam die Deutsch-Polnische Industrie- und Handelskammer in Warschau. Immer öfter klagten verzweifelte Unternehmer: „Das Geschäft droht zu scheitern. Ich verstehe die Mentalität einfach nicht.“ Mit dem Polen-Knigge kann nun kaum noch etwas schief gehen. Praktischerweise braucht man das Büchlein auch nur umdrehen, und schon hält man den deutschen Knigge für die Polen in der Hand.

So können Sie leichter klären, was „viel Zeit“ bei einer Konferenzvorbereitung bedeutet. Deutsche haben ein ganzes Jahr im Kopf, Polen eher vier Monate. „Auf den letzten Drücker“ erledigen Deutsche etwas ein bis zwei Monate vor dem Ereignis, Polen werden erst eine Woche vorher aktiv. „Fünf vor zwölf“ sind viele Deutsche einem Nervenzusammenbruch nahe, während Polen improvisieren und dann freudestrahlend verkünden: „Fertig! Und sogar pünktlich!“

Der Polen-Knigge ist unerlässlich für alle, die den „unbekannten Nachbarn“ näher kennen lernen wollen. Oft schon scheiternselbst erste Annäherungsversuche. Sie reichen freundlich die Hand und sagen „Guten Tag, Herr Kowalski“ – und haben ihr Gegenüber schon schwer beleidigt. Die Anrede mit dem Nachnamen ist in Polen ein Affront und klingt wie ein rüdes „Hallo Sie!“ im Deutschen. Wenn Sie sich also nicht den Ruf eines Trampels zulegen wollen, sollten Sie Polen mit ihrem Titel oder der Berufsbezeichnung anreden. Unfein wäre es allerdings, wenn Sie „Herr Abteilungsleiter“ oder „Frau Staatssekretärin“ sagen, statt „Herr Direktor“ und „Frau Minister“. In Polen werden Titel grundsätzlich aufgerundet. Wollen Sie richtig nett sein, sagen Sie „Pan (Herr) Piotr“ und „Pani (Frau) Monika“, siezen aber weiter. Polens Höflichkeitsformen haben eine lange Tradition. Sie stammen noch aus dem Adel des Mittelalters.

Da das Polnische zu den schwierigsten Sprachen der Welt gehört, verlangt kaum jemandvon Ihnen, dass Sie es beherrschen. Aber über ein paar Worte freuen sich die Polen immer. „Bitte“, „Danke“ und „Guten Tag“ sollten es schon sein.

Wenn Ihre polnischen Bekannten Sie dann noch fragen: „Können Sie Chrząszcz brzmi w trzcinie (sprich: Chschonschtsch bschmi w tschtzinje) wiederholen?“, geht es ums Ganze. Es ist der Test auf Herz und Nieren. Wenn Sie aber den Zungenbrecher „Ein Käfer zirpt im Schilf“ stundenlang geübt haben und perfekt zischen, haben Sie genauso verloren, wie wenn Sie es gar nicht versuchen. „Menschlich“ sind Sie für die Polen erst, wenn Sie sich Mühe geben, schon bei „chschonschtsch“ scheitern und dann gemeinsam darüber lachen. GABRIELE LESSER

Krzysztof Wojciechowski: „Knigge für deutsche (Nicht-nur-)Unternehmer in Polen“. Poznan, Warszawa 2005