nebensachen aus taschkent: Mit fremden Augen
Ein rätselhaftes Volk
Die Usbeken sind ein chaotisches Volk. Man kann in Taschkent kaum ein paar Minuten herumlaufen, ohne nach der Uhrzeit gefragt zu werden. Wieso? Die Passanten mögen keine Armbanduhren. Warum? „Na ja, das Band klebt so bei der Hitze.“ Oder: „Also, meine ist gerade bei der Reparatur.“ Ich habe aufgehört zu fragen. Genauso hassen sie Sicherheitsgurte. Wieso? „Angenommen, du knallst mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Baum“, sagt einer meiner Bekannten ohne Flachs. „Dann wird dir der Sicherheitsgurt die Lungen brechen. Ohne den Gurt knallst du gegen das Lenkrad, brichst dir die Nase und das war’s. Aber mit den Lungen, das ist schlimmer, oder?“ Ja, natürlich. Das ist viel schlimmer!
Und dann wieder sind die Usbeken die duldsamsten Menschen, die ich kenne. Gegenüber ihrer Regierung zum Beispiel. Neben dem Präsidentenpalast in Taschkent, dem Weißen Haus, das so heißt, weil Tamerlan, der Beherrscher des Orients im 14. Jahrhundert, eines in dieser Farbe hatte, steht ein Schild, über das sich die Ausländer in Taschkent das Maul zerreißen, die Usbeken aber gar nicht bemerken. Es ist so ungefähr so groß wie die Leinwand in einem Autokino und zeigt eine Reihe Bäume – solche, wie sie auch gleich daneben stehen – und ein Stück Himmel – wie er darüber zu sehen ist. Warum gibt es dieses Schild? Die einen argumentieren: Wegen der Sicherheit. Weil sich nämlich in den Bäumen, die für das Schild gefällt wurden, leicht hätten Terroristen verstecken können. Andere wiederum lachen nur über die hyperrealistisch gemalten Bäume und den babyblauen Himmel. Was sagen die Usbeken? „-----!“, so ein Passant. Und: „Das ist ein Geheimnis!“, der nächste. Oh ja, das ist es!
Oder: Vor ein paar Wochen war wieder einmal eine Delegation des Internationalen Währungsfonds in Taschkent. Schon seit geraumer Zeit verlangt die Organisation, dass die Regierung die usbekische Währung konvertierbar macht, sie damit also deutlich abwertet. Was macht die Regierung? Sie belässt es beim offiziellen Wechselkurs und bringt dafür den Handel zum Erliegen. Von den Basarhändlern verlangte sie nämlich auf einmal, abgesehen von Lebensmitteln, eine 90-prozentige Importabgabe – in Usbekistan werden so gut wie keine Industriewaren hergestellt – mit dem Erfolg, dass alle Basare des Landes fast völlig ausgestorben sind. Gleichzeitig verzögerten die Staatsbetriebe ihre Lohnauszahlungen – es gibt so gut wie keinen privaten Sektor –, mit dem Erfolg, dass keiner mehr Geld hatte, um Dollars zu kaufen. Woraufhin wie im Lehrbuch der Schwarzmarktkurs tatsächlich bis zum offiziellen Kurs fiel. Was sagten bis auf ganz wenige Ausnahmen die Zeitungen des Landes dazu?„-----!“. Das Radio: „-----!“ Das Fernsehen: “-----!“
Und die Usbeken? Machten sie ihrem chaotischen Ruf alle Ehre? Gingen sie auf die Straße? „-----!“ Eben alles eine Frage der Sicherheit. Angenommen, du knallst mit hoher Geschwindigkeit gegen einen Baum … Mit oder ohne Rückgrat? Das ist schlimmer! PETER BÖHM
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