nebensachen aus peking: Tanztreff Sonnentempelpark
„An der schönen blauen Donau“
Es gibt Orte, die besänftigen die Seele. Der Park des Sonnentempels in Peking ist so ein Ort. Wenn an den Sommerabenden die Hitze nachlässt und der schrille Chor der Zikaden die Dunkelheit begrüßt, gehört der Park den alten Männern und Frauen. Sie sitzen unter den Bäumen und auf den Bänken, andere üben Schattenboxen.
Auch junge Paare verstecken sich im Dunkeln. Sie sind seltener geworden, seit die Behörden ordentliche Rasenflächen angelegt, versteckte Winkel begradigt und die dichten Büsche ausgerupft haben. Nun lässt es sich hier nicht mehr so ungestört „über die Liebe reden“, wie „flirten“ auf Chinesisch heißt.
Im Park des Sonnentempels trifft man auch Herrn Gao Lianyou, den schönsten Pensionär Pekings und Liebhaber von Walzer, Rumba und Tango. Jeden Abend, zehn Minuten vor acht, verwandelt der 65-Jährige einen betonierten Kinderspielplatz in eine Tanzfläche. Wer ein Ticket für rund 40 Pfennig kauft, kann sich zwei Stunden zu europäischer Tanz- und chinesischer Filmmusik wiegen.
Gao hat früher im Dienstleistungsbüro des Außenministeriums gearbeitet, das ausländische Diplomaten betreut. In den Sechziger- und Siebzigerjahren der Kulturrevolution war das Tanzen in China verboten. Aber „als wir wieder tanzen durften, merkten wir, dass wir es nicht verlernt hatten“.
Seit seiner Pensionierung vor fünf Jahren wählt er im Park die Musik aus. Rund 20 Paare sind eingetroffen. Frauen bringen hochhackige Schuhe mit. Gao legt Bizets „Auf in den Kampf, Torero!“ ein. Seine Frau übt komplizierte Figuren mit einer Mittvierzigerin. Daneben schiebt Herr Zhang seine Freundin, die zum ersten Mal dabei ist. Beide sind Anfang fünfzig und gut gelaunt: „Tanzen ist gut für die Gesundheit“, sagt er.
Man kennt sich. Dort gleitet forsch ein Ehepaar dahin, das keinen Tanz auslässt. Hier dreht sich ein einsamer Herr um den Fächer in seiner Hand. Er gibt nach ein paar Schritten immer wieder auf, bis ihn der Mut erneut packt. Aber bis zu der Dame, die zehn Meter weiter allein übt, schafft er es nicht.
Die meisten kommen regelmäßig. Manche sind sogar zweimal am Tag dabei: Die erste Runde, morgens zwischen 6.40 Uhr und 8.40 Uhr, zieht über 200 Pekinger an. Fast alle sind Rentner oder arbeitslos. „Die anderen haben dafür keine Zeit“, sagt Herr Yang, der in der „Elektroreparaturbranche“ beschäftigt war.
Nicht nur in den Parks ihrer Stadt tanzen die Pekinger. In Seitenstraßen, auf kleinen Plätzen und vor Kaufhäusern treffen sich Nachbarn um einen kleinen Kassettenrecorder.
Durch den Sonnentempelpark erklingt „An der schönen blauen Donau“. Um kurz vor zehn verstummt die Musik. Nur vom nahen Hügel wehen noch die Töne eines einsamen Saxofons herab. Der Computerfachmann Zhang übt hier. Zu Hause würde er die Nachbarn stören. „Ich rief dich an, um dir zu sagen, dass ich dich liebe“, spielt er. Dann klappt er den Instrumentenkasten zu und verschwindet in der weichen Sommernacht. JUTTA LIETSCH
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