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montagsmalerder flow zwischen den jahrenWeihnachtsgedanken, nachklingend

Die Jahresendzeit ist Existenzialismus pur. Die Wiederholung, die zum Guten führt. Kurz nach Weihnachten trifft man sich wieder. Schon wieder ist eine lange Zeit vergangen. Abends schneite es plötzlich wie wild, und zwei arabische Jungs fragten fast schüchtern, ob sie mich mit Schneebällen bewerfen dürften, dann hatten wir uns lachend mit Schneebällen beworfen. Rauchen wir erst mal eine und nun erzähl du. Manche schmücken den Stress aus, den sie zu Weihnachten hatten, heben die grotesken, verletzenden, zwanghaften Situationen hervor; andere betonen vielleicht schon etwas zu sehr, wie wunderbar das Verhältnis zu ihren Eltern doch sei.

Vieles hängt damit zusammen, ob Kinder da sind. Man spürt das sehr genau, wenn man einen Abend allein mit den Eltern als Kind verbrachte und den nächsten mit den Eltern und der Schwester und den Nichten. Nichten sorgen gleich für ein besseres Raumklima. So Feng-Shui-mäßig. Besonders schön, wenn sie dann Teenager mit Räucherstäbchen sind und keine Lust mehr haben, am Tisch sitzen zu bleiben, sondern Viva gucken wollen. Zuvor berichten sie von zwei Hochhäusern, die im Keller sitzen und Kartoffeln stricken. Was soll daran auch falsch sein?

Oder zwei Männer treffen sich auf der Straße. „Haben wir uns nicht schon mal in Casablanca gesehen?“ – „Kann nicht sein. Ich war noch nie in Casablanca.“ – „Da werden es wohl zwei andere Männer gewesen sein.“ Solche Sachen eben.

In der Wirklichkeit der „Domäne“ sind Männer nicht so komisch. Die Rolltreppe war wieder mal stehen geblieben, und der eine Mann erzählte dem anderen einen Kohl-Witz: „Willst mal hören? Pass auf: Helmut Kohl kommt zwei Stunden zu spät zur Regierungssitzung. Fragt der Parlamentspräsident: Warum? Sagt Helmut Kohl: Die Rolltreppe war stehen geblieben.“

Dann schon: Silvester. Und ich dachte an Leute, die tot sind; an diese seltsame Selbstmordbegeisterung Anfang der Achtzigerjahre, wo jeder Kleist sein wollte oder Henriette Vogel oder Jean Améry. Diese Zeit, wo man anfing, das Spazierengehen zu schätzen und in dunklen Mänteln wichtige Dinge besprach, und meine Schuhe waren durch und ich hatte sie zum Schuhmacher gebracht und lief nun mit uralten Joggingschuhen und nasskälter werdenden Füßen die Kastanienallee hoch zur Galerie „engler & piper“, in der Sachen von und mit Klaus Beyer gezeigt werden. Schöne Fotos von Auftritten, Zeichnungen und Collagen, die er für seine Verfilmungen der Beatles-Songs angefertigt hatte. Das war nicht nur anrührend, sondern ganz wunderbar. Nur die kalten Füße eben.

Am Silvesterabend wird Klaus Beyer hier singen. Und am nächsten Vormittag war es mir endlich, nach anderthalb Monaten, gelungen, „Bow down Mister“ von Boy George aus dem Internet vollständig herunterzuladen. Anderthalb Monate hatte ich immer wieder an das Stück gedacht, dass ich zuletzt vor 15 Jahren gehört hatte. Meist waren nur die Hare-Krishna-Versionen von George Harrison, Udo Lindenberg, Uwe Ochsenknecht, Nina Hagen oder Hair erschienen, wenn ich unter „Hare Krishna“ gesucht hatte.

Nun endlich Boy George. Ein super Stück, dass er am Ende seiner Heroinsucht aufgenommen hatte. Seine Band hieß damals Jesus Loves You.

From Bombay to Bangalore/ all the Hindus know the score/ if you wanna live some more.

Hare, hare, hare.

If you do not take the vow/ You can eat the sacred cow/ You’ll get karma anyhow.

Hare, hare, hare.

Bow down mister/ Hare Rama, Hare Krishna/ Bow down mister.

We say radha syam/ usw.

DETLEF KUHLBRODT

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