montagsmalerIm Kampf mit den Zimmerpflanzen: Fieser Ficus
Die Spannung, sage ich, die Spannung darf nicht nachlassen, daraus entsteht Negativzeit, das lehne ich ab. Die Unterscheidung darf allein in der Größe des Bildschirms bestehen. In das Wochenende habe ich Kerben gehackt, und ich weiß schon jetzt nicht mehr, wie vielen Personen ich gerade gemailt habe, dass der Text spätestens am Montag vorläge, definitiv.
Sie können Ihren Computer herunterfahren, ich bin sowieso die Letzte hier oben, denke ich. 17:20 Uhr. Ich gebe den Schlüssel ab. Beauty, mein Fahrrad, mein Speedomat, mein schnelles Stück losketten – jetzt geht es immer bergab, durch den brautgrauen, reduzierten Tag. Schlanke Straßenbäume ragen in das jenseitige Herbstlicht. Ich überhole Klappräder, Rennräder, Kuriere, bis ich mit der Rückenansicht eines alten, durchpomadisierten Radlers konfrontiert bin, der sein Äußerstes gibt.
Diese grauen, dicken Haare, die wie eine Schublade auf dem Kragen aufliegen, dieses ungelenke, heftige Strampeln der Beinchen in angeschmuddelten Jogginghosen. Kaum auf seiner Höhe, taumelt er mir in die Bahn. Der Kerl ist meine Nemesis. Ich überhole den Alten, er schliert im Slalom bei Rot über die Suarezstraße und ist wieder vor mir. Ein roter LKW, von rechts aus der Kaiser-Friedrich-Straße, auf dem „Berlin Bewegen“ steht, unterbindet meinen neuen Versuch, die Erste zu sein. Wieder beschleunigt ist es ein Volldepp in giftgrüner Freizeitwear, der mich beinahe über den Lenker gehen lässt, weil er angesichts eines fusseligen Hundes, der sich am Straßenrad zum Kacken krümmt, plötzlich abbremst. Aus Rache überhole ich sie alle, um dann auf der Höhe von Sushi-Berlin unvermittelt abzustoppen und 15 Dinh Dang Rolls zu bestellen. Ich bin der einzige Gast, ganz allein mit flächigem R’n’B und der Kreativität dreier Sushi-Chefs. Autos machen ihre Lichter an, der Tag verbläut, ich muss die Kerben tiefer schlagen.
Zuhause will ich Disziplin, Romantik, Anrufe, Leidenschaft und Konzentration. Dort angekommen stellt sich heraus, dass Industrietaucher das Schloss zu meiner Wohnung ausgetauscht haben. Ich muss die Tür eintreten. Damit nicht genug: Im Flur tritt mir eine Buchsbaumgarde entgegen, in deren Mitte ein fieser Ficus residiert, dem es gelingt, gleichermaßen dörr und feist zu wirken. Das ist eben die Art von Majestäten, denke ich. Nun rächt es sich, dass ich Zimmerpflanzen aufgrund ihrer eingetopften Hilflosigkeit immer verabscheut habe: Ich muss mich vor dem Tribunal der Gummibäume verhalten.
Als rechtlicher Beistand wird mir ein Töpfchen Kresse gereicht, ich lehne ab. Morgen werden wir weitersehen. Die Nacht ist ein einziger Kompromiss. Taucher wässern die Pflanzen, während ich mich beim Morgengrauen im Badezimmer einsperre, um einen klaren Gedanken zu fassen. Ich schiebe symbolisch flache Produkte unter der Tür hindurch, um die Pflanzen an der Übernahme der gesamten Wohnung zu hindern. Im Flur ist es still geworden. Ich nehme ein Bad und denke darüber nach, wie es mir unter diesen Voraussetzungen gelingen soll, die Fristen einzuhalten, die ich mir selbst gesetzt habe. Nach einer halben Flasche Chanel Cristalle ist mir wohler und ich bin nun bereit, mich dem King of Gummibäume zu stellen. Es ist typisch für die Feigheit der Pflanzen, dass ich den Ficus, samt Garde beim Verlassen des Badezimmers nicht mehr vorfinde. Ich gehe schlafen und wache erst am Montag morgen wieder auf. Wie soll ich das nur erklären? MONIKA RINCK
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