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Archiv-Artikel

molly und polly von RALF SOTSCHECK

Es sollte ein ruhiges verlängertes Wochenende werden. Das Ferienhaus an der irischen Westküste war ausreichend mit Wein und Grillgut bestückt, der Gasgrill, den Zeichner ©TOM neulich bei seinem Irlandurlaub aus 800 Einzelteilen zusammengeschraubt hatte, war beim ersten Einsatz wider Erwarten nicht explodiert, und der Wetterbericht versprach Sonnenschein. Eigentlich konnte nichts schief gehen. Doch unverhofft kommt oft.

Plötzlich stand Cathy, eine Bekannte aus Dublin, mit ihrem Freund Bernard vor der Tür. Ob sie eine Nacht bei uns schlafen könnten? Hungrigen Reisenden weist man nicht die Tür. Ihre überraschend vielen Taschen und Koffer hätten mich stutzig machen müssen. Cathy und Bernard sind Musiker, und am Morgen hatten sie drei Sätze Saiten gekauft. Das heißt, sie wollten Saiten kaufen, erwarben aber auch gleich die Instrumente, an denen die Saiten angebracht waren. Diese Anschaffungen sowie die sieben Instrumente, die sie bereits aus Dublin mitgebracht hatten, wurden auf Couch und Sesseln geparkt, so dass nur noch Holzstühle als Sitzgelegenheiten zur Verfügung standen. Hauptsache, die Mandolinen, Gitarren und Mandolas hatten es bequem.

Außer den Instrumenten hatten die beiden auch noch eine Hündin mitgebracht. Molly war ein außergewöhnlich wohlerzogenes Tier, das einem zur Begrüßung die Pfote reichte. „Sie tut keiner Fliege etwas zuleide“, versicherte Bernard, fügte aber ominös hinzu: „Außer, wenn eine andere Hündin in ihre Nähe kommt.“ Auch das hätte mich stutzig machen müssen.

Das Grillen am Abend nahm seinen Lauf, während zehn Instrumente gestimmt werden mussten. Beim Essen stand Bernard auf, weil er – wie ich annahm – auf die Toilette musste. Eine Stunde später erreichte uns eine SMS auf dem Handy: „Bin im Pub.“ Bernard sei etwas komisch, sagte Cathy mit einem Understatement, das jedem Engländer zur Ehre gereicht hätte.

Nach drei Tagen machten die beiden noch immer keine Anstalten, abzureisen. Die Instrumente waren inzwischen perfekt gestimmt, das Grillgut verzehrt und die Weinvorräte zur Neige gegangen. Dann stand der nächste Besuch vor der Tür: die Schwägerin mit Mann und zwei Töchtern – und Polly, einer Hündin. Im Handumdrehen wurde aus der friedlichen Molly eine tollwütige Bestie. Wie es der Zufall will, verlor auch die niedliche Polly beim Anblick einer anderen Hündin die Nerven. Die beiden Hunde fielen augenblicklich übereinander her.

Ich schlug vor, Wetten auf die Tiere abzuschließen, doch die beiden Herrchen trennten die Viecher mit Müh und Not. Fortan ging es im Haus zu wie in Drumcree im nordirischen Portadown, wo Protestanten und Katholiken seit Jahren durch Niemandsland getrennt sind. Die Küche war unser Niemandsland, Molly blieb im vorderen Teil des Hauses, Polly im hinteren. Die jeweiligen Türen durften nur nach Ausstoßen lauter Warnrufe geöffnet werden. Gassi gehen musste koordiniert werden. Mein Hinweis, das sich auch Hunde vortrefflich als Grillgut eignen, wurde von beiden Besuchergruppen einmütig als geschmacklos eingestuft. Da keiner von ihnen unser gastfreundliches Domizil zu verlassen gedachte, verkürzten wir das verlängerte Wochenende.