piwik no script img

Archiv-Artikel

mein fast perfekter sommer (3) SUSANNE LANG über Sommergeburtstage

„Wir feiern unbedingt nach“

Spätabends, wenn die Sommersonne sich langsam wegträumt und die Grillen lauschig zirpen, bohrt sie am schlimmsten. Die eine, alles entscheidende Frage des Sommers: Wie soll ich dieses Jahr meinen Geburtstag feiern? Werde ich diesmal endlich das rauschend romantische Sommertraumfest erleben, um das einen Wintergeburtstagskinder das ganze Jahr über lautstark und Tatsachen ignorierend beneiden? In Wirklichkeit sind Sommergeburtstage eine tieftraurige Angelegenheit.

Noch 18 leidige Tage, der Countdown läuft, Planungsphase: heiß. Wie immer hatte sie eines späten Julitages mit einem Anruf begonnen: „Ach, übrigens, du hast ja bald Geburtstag. Weißt du schon, was du machst?“ Schwestern sind was Wunderbares. Solange sie nicht anrufen und nach Geburtstagen fragen. Während ich ein „Ach, du, mal sehen“ in den Hörer nuschle, legt sie schon nach: „Ist eigentlich auch egal, ich bin sowieso in Frankreich. Aber eins muss ich mal sagen: Du hast es echt gut, im Sommer Geburtstag. Grillen, Party am See mit Mitternachtsschwimmen und durchtanzen, bis die Sonne aufgeht – das wird super.“ Schwestern sind genau wie Sommergeburtstage: eine grausame Angelegenheit.

In Wirklichkeit ist es nämlich so: Sommergeburtstage hinterlassen schwere soziale und psychische Störungen. An erster Stelle: das Alle-lassen-mich-im-Stich-Syndrom. Schwester in Frankreich, die guten Freunde im Süden und der Lieblingsitaliener im Betriebsurlaub. Alle weg. Nur ich bin da. Wie immer, nur wieder ein Jahr älter. Und irgendwann, Wochen später, ein paar traurig zerfledderte Postkarten in meinem Briefkasten, aus Frankreich, aus Übersee, aus dem Süden: „Meine Liebe, alles Gute, mach’s dir schön, wir feiern unbedingt nach!“

Da sich Tragik allgemein und so auch in diesem Fall leider immer steigern lässt, fängt das eigentliche Übel dann erst an. „Mach’s dir schön“ – spätestens nach der fünften Karte dieser Art, setzt man in Zukunft alles daran, trotzdem ein Fest auf die Beine zu stellen. Nur um den Abwesenden bei Rückkehr klar zu machen, was sie verpasst haben. Resultat: das Ich-werde-nur-ausgenutzt-Syndrom. Denn all die Wir-kleben-dir-gerne-und-immer-an-der-Backe-Menschen sind natürlich da. Die Langweiler. Die Selbsteinlader. Die Schnorrer. „Du, ich habe gehört, du machst eine Geburtstagsparty? Das trifft sich gut, der Sommer war ja eher lahm bisher.“ Eine Grillausrüstung samt Komplettmenü und 20 Kästen Bier ärmer, dafür drei Diddel-Maus-Tassen und zwei Boulevardtheatergutscheine (die man „unbedingt mal zusammen einlösen muss“) sowie ein Frauenzeitschriftabo reicher, lassen sich diese Feste meinerseits nur mehr mit einer Flasche Wodka retten.

Zwischenzeitlich gab es selbstverständlich auch Phasen der Hoffnung. Aktive Wege aus der Geburtstagskrise. Vor drei Jahren also der Entschluss, selbst zu verreisen. Mit Freunden und Geburtstag. Leider nur gratulieren auch die besten Freunde nicht mehr, wenn man sich zum Zeitpunkt des Geburtstags bereits in der Wir-reisen-und-reden-nie-wieder-miteinander-Phase befindet.

Gestern spätabends, als die Grillen mal wieder die Sommernacht zum kaum erträglichen Kitsch zirpten, war sie dann plötzlich da. Die alles entscheidende Erkenntnis dieses Sommers: Diesmal wird wirklich alles anders. Ich werde mir einen Vogel kaufen. Für das Geburtstagsständchen. Ich werde eine Ecke im Schrank freiräumen und mein Geschenk verstecken. Für den Überraschungseffekt. Und ich werde mir von meiner Schwester eine Therapie schenken lassen. Gegen das Sommergeburtstagstrauma.